Wer noch einen Lektüretipp braucht – hier ist er: „Brüder“ von Jackie Thomae. Das ist kein Roman, der frisch aus der Druckerpresse kommt, sondern schon vor zwei Jahren bei Hanser Berlin erschienen ist und auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis gestanden hat. Doch nun ist die Geschichte von Mick und Gabriel, den Söhnen eines abgetauchten Vaters aus Afrika und zweier Mütter aus der DDR, das „Buch für die Stadt“ in Köln und Umgebung.
Bei der coronavoll besetzten Matinee am Sonntag im Schauspiel Köln offenbarte sich noch einmal das enorme Potenzial des Romans. Im angenehmen und ergiebigen Gespräch mit Moderatorin Anne Burgmer, Kulturchefin des Kölner Stadt-Anzeigers, gab Thomae Einblick in die Genesis des Romans, ihre Intentionen und ihre Erfahrungen mit dem veröffentlichten Werk. Das hatte Witz und Wumms. Nicht zuletzt wurde bei den drei kurzen Lesungen aus dem Roman deutlich, wieviel amüsante Power darin steckt.
Alle Menschen werden Brüder
Anders als es der Titel vermuten lässt, ist hier nicht nur von Männern die Rede, nicht nur von Mick und Gabriel. Es kommen ebenso jede Menge Frauen zu Wort. So legte Thomae im Gespräch die Deutung nahe, dass der Buchtitel auch zu verstehen sei im Sinne eines: Alle Menschen werden Brüder. Und Schwestern. Wir gehören eben alle zusammen. Egal ob man hedonistisch veranlagt ist wie Mick oder erfolgsorientiert wie Gabriel. Ob man aus der DDR oder Afrika gebürtig ist. Ob die Hautfarbe Weiß oder Schwarz oder was auch immer sein mag. Ja, so ein menschenliebendes Buch ist „Brüder“.
Keinesfalls habe sie einen Rassismus-Roman im Sinn gehabt, sagt Thomae, sondern einen Lebensgeschichtenroman. Zwar stammt Idris, der Vater von Mick und Gabriel, aus Afrika. Auch ist immer mal wieder von ihrer Hautfarbe die Rede. Doch all das durchaus entspannt. Thomae meint, dass die gegenwärtigen Debatten zum Thema oft verkrampft seien. Von dieser Verkrampfung ist im Roman nichts zu spüren.
„Golden Almond, Honey, Chestnut“
Ausschlussreich in dem Zusammenhang der Hinweis, dass sich die unterschiedlichen Brauntöne auf dem Cover auf eine Romanstelle zurückführen lassen. Dort nämlich erzählt Gabriel, er habe über Sybil – deren Mutter aus Ghana stammt – „das fantasievolle Farbspektrum“ kennengelernt, „das die Kosmetikindustrie sich für unseren Hautton ausgedacht hatte.“ Und so zählt er auf: „Golden Almond, Honey, Chestnut. Butter Pecan. Caramel, Praline, Brulée, Toffee. Dark Ginger. Camel. Desert Beige. Beige Noisette oder Beige Chateigne. Rattan. Ambre Dorée“. Ein paar Töne dieser Palette gibt es jetzt also auf dem Umschlag.
Das also war die 19. Matinee zur Lese-Reihe „Ein Buch für die Stadt“, die das Literaturhaus Köln und der Kölner Stadt-Anzeiger seit 2003 alljährlich gemeinsam für Köln und die Region präsentieren. Wie wichtig beiden Institutionen diese Reihe ist, machten Literaturhaus-Leiterin Bettina Fischer und Joachim Frank aus der Chefredaktion der Tagezeitung gleich zu Beginn der Veranstaltung deutlich. Ja, das war die 19. Matinee – doch tatsächlich ist „Brüder“ schon das 20. Buch, das über mehrere Tage hinweg intensiv gewürdigt wird. Diese Erstaunlichkeit ist darauf zurückzuführen, dass 2007 gleich zwei Titel im Fokus standen, nämlich „Thymian und Steine“ der palästinensischen Autorin Sumaya Farhat-Naser und „Ein schönes Attentat“ des israelischen Autors Assaf Gavron. Das Jubiläum zur 20. Ausgabe von „Ein Buch für die Stadt“ steht also erst 2022 auf dem Plan.
Martin Oehlen
Die vierköpfige Jury zum „Buch für die Stadt 2021“ bildeten Anne Burgmer, Bettina Fischer, Hildegund Laaf und der Autor dieses Beitrags.
Eine Sonderausgabe des Romans ist anlässlich der Aktion „Ein Buch für die Stadt“ bei btb erschienen und kostet 12 Euro.
