Das Schöne an den Olympischen Spielen ist, dass das Großereignis alle vier (bis fünf) Jahre einen guten Anlass bietet, sich auf das Gastgeberland einzulassen. So steigt nun der Taschen Verlag aus Köln mit vier Japan-Bildbänden ein. Nachdem wir zunächst Hokusais Fuji-Ansichten vorgestellt haben, geht es nun um Fotografie um 1900.

Es war einmal: Zwischen 1912 und 1948 warteten die Olympischen Spiele sogar mit Kunstwettbewerben auf. Da ging man in den Disziplinen Architektur, Literatur, Musik, Malerei und Bildhauerei an den Start. Doch dann stellte sich heraus, dass ein Höher-Schneller-Weiter in den Künsten nicht so leicht zu messen ist wie beim Stabhochsprung. Als Alternative schreibt die Olympische Charta seitdem ein Kulturprogramm vor. Die Regel 39 besagt: „Das Olympische Komitee organisiert ein Programm kultureller Veranstaltungen, das mindestens den gesamten Zeitraum abdecken muss, während dessen das Olympische Dorf geöffnet ist.“ Aktuell erwähnt Tokios offizielle Olympia-Seite die Einrichtung einer „Agora“ (als Ort des kulturellen Austauschs) und eine Plakatposter-Serie (mit einer Liste der Verkaufsstellen).
Nach der Abschottung kommen die Touristen
Eine Ausstellung mit frühen Fotografien passte in so ein Kulturprogramm ganz gut hinein. Zumal die über 700 Vintage-Abzüge, die Sebastian Dobson und Sabine Arqué in „Japan 1900 – Ein Porträt in Farbe“ versammeln, aus der Zeit der Öffnung des Inselreiches stammen. Lange Zeit hatte sich das Shogunat vollkommen abgeschottet. Das änderte sich mit dem endgültigen Sturz der alten Ordnung im Jahre 1868 und der Regentschaft von Kaiser Meiji. Seine Ära sorgte für Frischluft auf vielen Gebieten. Der Tenno starb im Jahre 1912, als Japan das erste Mal an den Olympischen Spielen der Neuzeit teilnahm – zwei Athleten waren in Stockholm dabei gewesen.
Zu Japans Modernisierung in der Meiji-Zeit gehörte, dass sich das Land dem Tourismus öffnete. Der Hafen von Yokohama war das Tor für die Gäste aus aller Welt. Wurden zunächst nur Pässe für vorab festgelegte Städte ausgegeben, durften die Reisenden ab 1894 frei umherstreifen – so weit es die Infrastruktur zuließ.
Fotostudios sorgen für die Souvenirs
Die Fotografien stehen mit dieser Entwicklung in direktem Zusammenhang. Denn die Reisenden dürsteten nach Souvenirs des traditionellen, dem ihrer Auffassung nach typischen Japan. So kam es zur Gründung von Fotostudios, zumeist in der Nähe der wenigen Hotels im westlichen Stil gelegen, die mit ihren Aufnahmen diesem Bedürfnis entsprachen. Die Namen der Fotografen bekunden eine west-fernöstliche Allianz. Shima Shukichi, Felice Beato, Baron Raimund von Stillfried, Adolfo Farsari und Kusakaba Kimbei werden als Pioniere genannt.
Eine Besonderheit der Studios war, dass in ihnen Alltagsszenen nachgestellt wurden, die überhaupt nicht so tun wollten, als stünde die Rikscha am Straßenrand oder der Gemüsestand auf einem Markt. Dobson und Arqué versichern, dass der Mangel an Authentizität nicht als Nachteil empfunden wurde, vielmehr war es das Ziel, den Alltag wie in einer Theateraufführung in Szene zu setzen. Offenbar ist auch damit zu erklären, dass die Schwarz-Weiß-Aufnahmen recht offensiv per Hand koloriert wurden. Zahlreiche Aufnahmen lassen den Himmel im wolkenfreien Hellblau und die Kirschblüte im verwaschenen Rosa leuchten.
Von Kyushu bis nach Hokkaido
Die Mehrzahl der Aufnahmen, die diesen neuen Band der „1900“-Reihe schmücken, sind allerdings jenseits der Studios entstanden. Als wären wir selbst auf Zeitreise, geht es einmal quer durchs Land: Vom schönen Kyushu im Westen über Kobe, Osaka, Kyoto, Yokohama und Tokio bis zu den Ainu, den Ureinwohnern in Hokkaido im Norden.

Selbstverständlich ist auch der Fuji ein beliebtes Motiv. Den heiligen Berg zu besteigen, galt in Japan ehedem als Ehrensache. Auch manch ein Tourist sah sich herausgefordert. Dass dies kein leichter Spaziergang war, bezeugt das Sprichwort: „Wer einmal auf den Berg Fuji steigt, ist weise. Wer ihn zweimal besteigt, ist ein Narr.“ (Die englische und französische Übersetzung des Bandes verzichtet übrigens auf die Vokabel „weise“; dort ist „a fool“ beziehungsweise „un idiot“, wer niemals den Fuji bestiegen habe – und wer es zweimal tue, sei es eben auch.)
Martin Oehlen
Hinweis:
Das Bild am Kopf des Beitrags zeigt ein Teehaus im Ueno-Park und ist um 1890 aufgenommen worden. Foto: Former Collection Marc Walter/Photovintage France
Was bisher geschah:
Japan im Bild (1): Zu Hokusais „36 Ansichten vom Berg Fuji“ zählt auch das berühmteste Kunstwerk des Inselreiches
Sebastian Dobson und Sabine Arqué: „Japan 1900“, Taschen, dreisprachige Ausgabe: Englisch, Deutsch, Französisch, 536 Seiten, 150 Euro.

Fortsetzung folgt