
Donna Leon traf ich – es mag 13, vielleicht 14 Jahre her sein – in einem Hotel in München. Es lag unweit des Straßenstrichs, was die Schriftstellerin außerordentlich amüsierte. Sie übernachte seit vielen Jahren in diesem Hotel, wenn sie München besuche, sagte sie. „Früher war das ein gutbürgerliches Viertel.“ Dass sich das geändert habe, störe sie nicht. „Ich komme aus Tradition immer wieder hierher.“
„Ich schreibe weiter“
So saßen wir mehr als eine Stunde zusammen in einem plüschigen Foyer und sprachen über Dona Leonas langjährigen Freund und Wegbegleiter. Über Guido Brunetti, den einzigen Mann an ihrer Seite. Zu dem Zeitpunkt waren bereits zahlreiche Bände über den venezianischen Commissario erschienen. Wie viele sie denn noch schreiben wolle, fragte ich Donna Leon. Sie lächelte fein und sagte, dass sie das selber nicht wisse: „Ich schreibe weiter, bis die Leute meine Bücher nicht mehr lesen wollen.“ Und ob sie schon einmal daran gedacht habe, einen anderen Protagonisten als Brunetti ins Feld zu schicken. Ihr Blick wurde fast mitleidig. Ich meinte, ein leises „ach, Darling!“ zu hören. „Warum um Himmels Willen sollte ich das tun? Solange sich Brunetti gut verkauft, wäre ich doch dumm, wenn ich etwas anderes schreiben würde.“
Träfen wir uns heute wieder, in einem plüschigen Münchener Hotel unweit des Straßenstrichs, Donna Leon würde vermutlich das Gleiche antworten. Unverbrüchlich bleibt die bald 80-Jährige ihrem Helden treu. Gerade ist Commissario Brunettis 30. Fall erschienen, „der Jubiläumsfall“, wie ein dezenter Aufkleber des Diogenes-Verlags verrät. Auf dem Cover eine Gondel, die sich im Wasser eines kleinen Kanals spiegelt.
Menschenhändler in Venedig
Willkommen in Venedig, der Stadt der Diebe und Mörder, der Dealer und korrupten Politiker. Brunetti ist kein menschlicher Abgrund fremd, und auch dieses Mal entwickelt sich aus einem vermeintlich harmlosen Fall – zwei Touristinnen werden bei einer nächtlichen Bootstour auf der Lagune verletzt – das ganz große Ding. Es gilt, skrupellosen Menschenhändlern das Handwerk zu legen, die von der Not anderer profitieren und selbst vor Mord nicht zurückschrecken.
Das Personal ist das gewohnte: eine clevere Sekretärin, ein bornierter Vorgesetzter, die liebende Ehefrau. „Never change a winning team.“ Und so fühlt man sich beim Lesen ein wenig, als besuche man langjährige Freunde, die zwar ein paar Fältchen bekommen haben, aber ansonsten ganz die alten geblieben sind.
„Für nachdenkliche Optimisten“
Fans des charmanten Commissario sei außerdem ein Blick in das „Brevier für nachdenkliche Optimisten“ empfohlen. Dessen Titel: „Mit Brunetti durchs Leben“. Herausgegeben hat es Gabriella Gamberini-Zimmermann, und es enthält laut Vorwort „Brunettis kostbarste Gedanken zum Hineinschnuppern“. Die französische Übersetzerin lebt in der Nachbarschaft von Donna Leon in Venedig und hat eine beachtliche Sammlung von Zitaten und Textauszügen aus den Brunetti-Büchern zusammengestellt. Der Commissario in Kurzform also, „ein Geschenk für die Fans und eine Einstiegsdroge für Newcomer“.
Auf dass die Zeit bis zu Donna Leons 31. Brunetti-Band nicht zu lang werde. Denn den, ach Darling, wird es garantiert geben.
Petra Pluwatsch
Donna Leon: „Flüchtiges Begehren“, dt. von Werner Schmitz, Diogenes, 316 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.
„Mit Brunetti durchs Leben. Brevier für nachdenkliche Optimisten“, hrsg. von Gabriella Gamberini-Zimmermann, Diogenes, 398 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.
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Vielen Dank für den freundlichen Hinweis auf unseren Beitrag! Super.👍
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