
Brave, herrliche junge Leute!“ sagte Thomas Mann am 27. Juni 1943 im Radioprogramm der BBC. „Ihr sollt nicht umsonst gestorben, sollt nicht vergessen sein.“ Die führenden Mitglieder der Weißen Rose, denen diese Dichterworte galten, waren kurz zuvor hingerichtet worden: Hans Scholl, Sophie Scholl, Kurt Huber, Willi Graf und Alexander Schmorell. Weitere Mitglieder wurden verfolgt und verurteilt: Helmut Bauer, Heinrich Bollinger, Eugen Grimminger, Heinrich Guter, Falk Harnack, Hans Hirzel, Susanne Hirzel, Traute Lafrenz, Franz J. Müller, Gisela Schertling und Katharina Schüddekopf.
Ihre Waffe war das Papier
Sie sind tatsächlich nicht vergessen – nicht ihr studentischer Widerstand, nicht ihr Mut, ihre Klugheit und ihre religiös grundierte Überzeugung, dass dem Nazi-Reich ein Ende bereitet werden müsse. Ihre Waffe war das Papier: Insgesamt sechs Flugblätter hat die Gruppe verfasst, verschickt, verteilt. Die finale Aktion vor der Verhaftung, als Sophie und Hans Scholl einige Exemplare des sechsten Flugblattes in den Innenhof der Münchner Universität hinunterflattern ließen, ist ein geradezu ikonisches Bild geworden – obwohl davon kein Foto, kein Filmmitschnitt existiert.
Die Literatur zur „Weißen Rose“ – worauf sich der Name bezieht, ist ungewiss – füllt Regalbretter. Vor allem Sophie Scholl, am 9. Mai 1921 im württembergischen Forchtenberg geboren und in Ulm aufgewachsen, hat viel Aufmerksamkeit erfahren. Nun widmet sich Maren Gottschalk der lebensfrohen jungen Frau: „Wie schwer ein Menschenleben wiegt“ ist der Titel der Biografie, die die Autorin am 26. April im Literaturhaus Köln in einer virtuellen Veranstaltung mit Stefanie Junker vorstellen wird.
Das Buch zeigt anschaulich in Text und Bild den Weg der Sophie Scholl von der „Jungmädel-Führerin“ zur Kämpferin gegen den Nationalsozialismus. Gleich nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1939 schrieb die 18-Jährige an ihren Freund Fritz Hartnagel, der als Soldat im Schwarzwald stationiert war: „Ich kann es nicht begreifen, dass nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und ich find es entsetzlich. Sag nicht, es ist fürs Vaterland.“ In ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus war Sophie Scholl anfangs, so schreibt es Maren Gottschalk, „radikaler als ihr Bruder Hans“.
„Sein Mund ist der stinkende Rachen der Hölle“
Dann gelangten die Flugblätter der Weißen Rose in Umlauf. Verfasser der ersten vier Aufrufe waren Hans Scholl und Alexander Schmorell. Zum Auftakt heißt es: „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique ‚regieren‘ zu lassen.“ Im zweiten Aufruf wird der Massenmord an den Juden ausdrücklich angesprochen, „die Tatsache, dass seit der Eroberung Polens dreihunderttausend Juden in diesem Land auf bestialischste Weise ermordet worden sind.“ Im vierten Flugblatt lesen wir über Adolf Hitler: „Sein Mund ist der stinkende Rachen der Hölle und seine Macht ist im Grund verworfen.“
Angeblich war dieses vierte Flugblatt das erste, das Sophie Scholl zu Gesicht bekommen und aufgrund der Wortwahl gleich mit ihrem Bruder in Verbindung gebracht hat. Doch Gottschalk hält es aufgrund einiger Indizien für möglich, dass Sophie Scholl schon zuvor in die Produktion der Flugblätter eingebunden war. Unstrittig ist ihre Mitwirkung an den Flugblättern 5 und 6.
Hans Scholl hat nach seiner Verhaftung und der seiner Schwester am 18. Februar 1943 ausgesagt, er habe „keine besondere Wirkung dieser Flugblätter“ feststellen können. Von keiner Seite habe es „zu dieser Aktion einen Widerhall“ gegeben. Gleichwohl zeigten sich die Geschwister unbeugsam bis zuletzt und bereuten nichts. Sophie Scholl soll in ihrer Zelle gesagt haben: „Was liegt an meinem Tod, wenn durch unser Handeln tausende von Menschen aufgerüttelt und geweckt werden.“
Verachtung für Lippenbekenntnisse
Maren Gottschalk hat schon einmal, im Jahre 2012, eine Biographie der Sophie Scholl vorgelegt: „Schluss. Jetzt werde ich etwas tun“ (Beltz & Gelberg). Auch ihre aktuelle Veröffentlichung bei C. H. Beck besticht mit einem so leichten wie fundierten Zugang zum herausragenden Thema. Womöglich kommt der Autorin dabei ihre Arbeit für die „Zeitzeichen“ im Hörfunk zugute, in denen es gilt, Historisches so anregend wie präzise und zügig zu vermitteln. Die Biografie will keine Ikone illuminieren, sondern einen Menschen vorstellen – seine Herkunft, sein Werden, sein Denken, sein Tun.
Lesenswert ist das allemal. Auch das Schlusswort. Da stellt Maren Gottschalk fest, dass Wachsamkeit, Mut und das entschiedene Eintreten für Menschenwürde und Freiheitsrechte als Sophie Scholls Erbe bewahrt werden müssen. Wer die Frau bewundere, die vor 100 Jahren geboren wurde, müsse sich die Frage gefallen lassen, ob er selbst bereit sei, seine Stimme gegen das Unrecht in unserer Gesellschaft zu erheben. „Denn Sophie Scholl verachtete Lippenbekenntnisse und eine Zustimmung, aus der kein Handeln erwächst.“
Martin Oehlen
Im Literaturhaus Köln stellt Maren Gottschalk ihre Biografie der Sophie Scholl am 26. April 2021 um 19.30 Uhr vor. Es handelt sich um eine Online-Veranstaltung. Moderation: Stefanie Junker.
Maren Gottschalk: „Sophie Scholl – Wie schwer ein Menschenleben wiegt“, C. H. Beck, 348 Seiten, 24 Euro.
