
Gustav Mahler überquert in Robert Seethalers Roman ein letztes Mal den Atlantik. Foto: Bücheratlas
„Man kann über Musik nicht reden, es gibt keine Sprache dafür“, sagt Gustav Mahler im Jahre 1911 an Bord der „Amerika“ zu einem wissbegierigen Schiffsjungen, der ihm den Tee bringt. „Sobald Musik sich beschreiben lässt, ist sie schlecht.“ Ach, so ist das! Wohl deshalb findet sich in Robert Seethalers kurzem Roman zum großen Komponisten auch kaum eine nachdrückliche Beschreibung oder Befassung mit der Musik des Meisters. Der Autor lässt Mahler stattdessen sich erinnern an das Leben, das er gelebt hat, und den Tod, der ihm kurz bevorsteht.
Es ist die letzte Reise des Gustav Mahler (1860-1911). Der letzte Satz in der Sinfonie seines Lebens. Unterwegs auf dem Atlantik von den USA nach Europa. Sterbenskrank liegt er an Deck. Mahler blickt aufs Meer und blickt zurück. Große Momente, schlimme Momente. Die Ehefrau und die Töchter, eine davon früh verstorben. Liebe und Erfolg. Antisemitismus und Ignoranz. Straßenlärm und Waldesruh. Wien, Paris, New York. Und dann die vielen Krankheiten an Leib und Seele. Einmal besucht er Sigmund Freud im niederländischen Leiden, geht mit dem agilen Professor vier Stunden spazieren und ist anschließend so klug wie zuvor.
Ja, einen groben, aber keineswegs die Fülle dieses Lebens vermittelnden Überblick gewinnt der Leser in „Der letzte Satz“. Und von der schönen Alma Mahler, die mal als „groß und üppig“ und mal als „größer und üppiger“ (in diesem Falle: als die meisten Pariserinnen) bezeichnet wird, möchte und könnte man viel, viel mehr erfahren. Nun ist dies keine Biografie, sondern ein Roman. Aber auch der Roman sollte dem Spätromantiker etwas dichter auf die Pelle rücken, wenn der nun schon mal die Hauptfigur ist.
Immerhin erfreut die eine oder andere leichthin erzählte Szene in Seethalers gewohnt kurzer Prosa. Dazu zählt der Besuch beim brummigen Auguste Rodin, dem der Musiker widerwillig Modell sitzt. Mahlers Kurz-Charakteristik des Künstler-Kollegen: „Er ist ein Bauer. Grob, schmutzig und laut.“
Doch alles in allem erreicht dieser Roman nicht die Intensität und Tiefe der beiden Vorgängerbände. Die handelten auch schon von der Vergänglichkeit. In „Ein ganzes Leben“ (2014) trifft der Seilbahnbauer Andreas Egger auf den todkranken „Hörnerhannes“, der von der „Kalten Frau“ erzählt; und in „Das Feld“ (2018) erwacht gleich ein ganzer Friedhof und lässt die Verstorbenen noch einmal zu Wort kommen (eine Besprechung dieses Bestsellers gibt es HIER).
Das Schlusskapitel im aktuellen Werk serviert dann noch eine Portion Kitsch. Der Schiffsjunge, der nun als Hafenarbeiter tätig ist, findet eine alte Zeitung mit der Nachricht vom Tode des Komponisten. Dessen Musik kennt er nicht, aber er stellt sie sich erstaunlich korrekt vor „als etwas Großes, Unberechenbares“. Dann dies: „Es ist ein Jammer, dachte er, dass sie nun für immer verloren ist.“
Aber da irrt er sich. Denn Gustav Mahlers Musik ist präsent, die bleibt.
Martin Oehlen
Robert Seethaler: „Der letzte Satz“, Hanser Berlin, 126 Seiten, 19 Euro. E-Book: 14,99 Euro.