
Anna Katharina Hahn im Kölner Literaturhaus Foto: Bücheratlas
„Endlich“, sagt die Dame, die ihr Fahrrad am Dienstagabend vor dem Kölner Literaturhaus verschließt. „Drei Monate Karenz ist eine lange Zeit für jemanden, dem das hier wie ein zweites Wohnzimmer ist.“ Dann schreitet sie frohgemut und maskiert voran zur ersten Lesung im Literaturhaus nach langer Pandemie-Pause. „Ich bin so froh“ sagt auch Literaturhaus-Leiterin Bettina Fischer vor ausverkauftem Haus. So gut es auch sei, dass man Veranstaltungen im Netz anbieten könne, so viel schöner sei es doch, im unmittelbaren Kontakt mit Autoren den Weg in einen Roman zu finden.
Für Anna Katharina Hahn war das die erste öffentliche Lesung aus ihrem neuen, vielfach belobigten Roman „Aus und davon“ – eine Rezension gibt es auf diesem Blog HIER. Die „Premierenlesung“ fand zwar schon vor einigen Wochen statt, doch durfte das Literaturhaus Stuttgart diese nur als Live-Stream anbieten. Jetzt also saß das Publikum Aug‘ in Aug‘ mit der Autorin. Und wie gesagt: ausverkauft. Nur – aufgrund des neuen Regelwerks mussten zwischen den einzelnen Plätzen eineinhalb Meter Abstand gewahrt bleiben. Das führte dazu, dass nur rund 20 Personen dem exklusiven Ereignis beiwohnen konnten. Die applaudierten allerdings so heftig, als drängten sich die Massen bis draußen vor die Türe.

So sieht es aus, wenn ein Saal in Pandemie-Zeiten voll besetzt ist. Foto: Bücheratlas
Johannes Schröer vom Domradio moderierte diese ergiebige und konzentrierte Vorstellung des Romans. „Aus und davon“ wird aus mehreren Perspektiven erzählt – aber Männer kommen dabei nicht zu Wort. Der kleine Bruno und das Plüschtier Linsenmaier zählen ja nicht so recht als männliche Stimmen. Das war ein Arbeitsziel der Autorin gewesen: „Mich hat es interessiert, die Männer einmal außen vor zu lassen.“
Dass der Romantitel „Aus und davon“ in einigen Rezensionen als Ausdruck eines Pessimismus gedeutet worden ist, hat Hahn überrascht. Sie selbst wäre auf so einen Gedanken nie gekommen. Für sie stehen „Aus“ und „davon“ für Veränderung. Die habe einerseits etwas Beängstigendes, biete aber andererseits eine Chance.
Unbedingt musste an diesem Abend vom württembergischen Pietismus die Rede sein, der im Roman eine wichtige Rolle spielt. Hahn selbst, so sagte sie, hat in ihrer Erziehung viel vom einschlägigen Gedankengut mitbekommen. Dazu gehört, dass man nie etwas herumliegenlassen dürfe und immer beenden müsse, was man angefangen habe. Auch konnte sie anhand eines offenbar in christlich-konservativen Kreisen weit verbreiteten Bildes „Vom breiten und vom schmalen Weg“ ausführen, dass der Pietismus „alles verdammt, was Spaß macht“. Andererseits – der Pietismus habe schon früh den Tierschutz hochgehalten. Und das am Rande: „Ich habe immer gerne Tiere in meinen Büchern, auch Kräutlein am Wegesrand.“ In „Aus und davon“ spielen unter anderem Tauben eine motivisch wichtige Rolle – die sind nämlich monogam, anders als die Männer im Roman.
Von manchem mehr war die Rede. So vom Essen im Allgemeinen und von Linsen im Besonderen. Und ebenso von Hahns Erfahrungen als „Writer in Residence“ in den USA des Donald Trump. „Ich liebe Amerika immer noch“, sagte die Autorin, „es gibt ja noch die anderen 50 Prozent.“ Einige transatlantische Erfahrungen hat sie im Roman verarbeiten können. Da geht es vor allem um die Kehrseite der US-Medaille – also nicht um das vibrierend-faszinierende New York, sondern um Armut und Chancenlosigkeit auf dem Land. „Aus und davon“, daran kann kein Zweifel sein, präsentiert viele lesenswerte Facetten.
Wie geht es weiter mit den Lesungen im Literaturhaus? „Auf längere Sicht nicht so“, sagte Bettina Fischer, „wie wir es kennen.“ Die nächsten Veranstaltungen mit Publikum stehen schon fest, aber zusätzlich auch Live-Streamings. „Ich liebe es“, hatte Anna Katharina Hahn in Bezug auf ihre Romane gesagt, „wenn das Ende offen ist!“
Martin Oehlen
Unsere Besprechung von „Aus und davon“, erschienen im Suhrkamp-Verlag, findet sich HIER.
Danke für immer wieder interessante Bücher…
Eine ganz andere Frage hätte ich an die Autorin: Genau eine solche Brille, wie sie in der Anzeige in der Zeitung „DIE ZEIT“ bei Ihrer Buchanzeige trägt, hätte ich gerne.
Würde mich sehr freuen, wenn sie mir den Hersteller verraten könnte.
Nicht jedem steht dieses Modell – Frau Hahn aber besonders!
Wäre dankbar von Ihnen zu hören.
Freundliche Grüße
Wolfgang Klie
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