Theres Essmanns Erzähldebüt über Väter und Söhne, Taxen und Takte: „Federico Temperini“

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Der Friedhof Melaten in Köln – hier gehen die Herren Federico Temperini und Jürgen Krause einmal spazieren. Foto: Bücheratlas

„Und dann begann die Musik mit einem riesigen Wumms!“ Das klingt nicht nach dem feinen Besteck, mit dem ein Musikkritiker ein Konzert zu sezieren pflegt. Aber Jürgen Krause, der da gerade im Block B der Kölner Philharmonie sitzt, sagt selbst von sich, dass er mit klassischer Musik wenig vertraut sei. Zu diesem Kunst-Erlebnis ist er nur dank der Einladung eines Kunden gekommen: Federico Temperini. Der ehemalige Violinist und leidenschaftliche Paganini-Verehrer engagiert den Taxifahrer gelegentlich als seinen Chauffeur – wie schon dessen Vater Gustav Krause viele Jahre zuvor. Aber das wird erst später klar.

Theres Essmann erzählt in ihrem Prosa-Debüt „Federico Temperini“ im leichten Ton von zwei Männern, deren Seelen gar nicht so leicht gestimmt sind. Der Chauffeur leidet unter der Trennung von seinem Sohn, der Künstler unter der Lähmung seiner linken Hand. Unser Erzähler Krause spricht hier beharrlich von der „komischen Hand“ seines Fahrgastes. Über die kann er nicht hinwegsehen. Wie er auch immerzu die geringe Körpergröße seines Vaters Gustav, der schon Bob Dylan und Reinhard Mey chauffiert hat, in Erinnerung ruft. Merkwürdig.

Am besten gelingt Theres Essmann in diesem Debüt der Blues des Ich-Erzählers über den abwesenden Sohn Leo. Denn das Ehepaar Krause hat sich getrennt. Mittlerweile lebt Irene – die „Ex“ – in einer neuen Beziehung. So hat Leo nun einen Stiefvater. Der Neue kümmert sich aufmerksam um den Jungen, plant mit ihm einen „Road Trip“ durch Kanada. Das irritiert den wahren Vater zusätzlich. Als er davon der Wirtin Maria erzählt, sagt sie: „Da kam wohl der Kamm beim Knoten an.“ Jürgen Krauses Psycho-Stress wird differenziert ins Bild gesetzt, mit dem Hin und Her der Emotionen.

Was aus den Kindern wird, wenn sich die Eltern trennen, ist ein Motivstrang in diesem Text. Krause liest die Autobiografie von Eric Clapton, dessen vierjähriger Sohn bei einem Sturz ums Leben gekommen ist („Tears in Heaven“). Der Musiker Niccolò Paganini „erkaufte“ sich nach der Scheidung das Sorgerecht für den Sohn Achille. Und Krause freut sich auf sein Papa-Wochenende. Wie es um Temperini steht, erfahren wir allerdings nicht. Nicht genau.

Denn der Herr beschweigt sein Privatleben konsequent. Nur wenn er die Sprache auf Paganini bringt, wird er gesprächig. Vom „Teufelsgeiger“ kennt er jeden Takt in Leben und Werk – das demonstriert er auf den Kölner Taxifahrten zur Philharmonie, zum Friedhof Melaten oder zum Decksteiner Weiher.

Ob dieser Prosa die Bezeichnung „Novelle“ gebührt, die auf dem Buchdeckel steht, darf bezweifelt werden. Denn das „unerhörte Ereignis“, das in dieser Gattung alles überstrahlt, ist hier nicht zu finden – sieht man einmal ab von einem Todesfall gegen Ende. Gleichwohl hat der Text eine feine Spannung im Alltäglichen. Er ist amüsant und melancholisch und bringt seine Geschichte an ein harmonisches Ende.

PS: Dass es in der Philharmonie nicht treppauf zum Block B geht und dass am Melaten-Friedhof stadtauswärts keine Parkbuchten vorhanden sind – geschenkt. Das ist die Freiheit des Dichtens. Die gilt auch für Autoren mit ausgeprägter Ortskenntnis.

PPS: Allerdings hätte das Lektorat ein wenig intensiver sein können. Dann tauchte Achille nicht auch als „Achill“ auf, dann wäre der „Road Trip“ nicht wenige Zeilen später ein „Road-Trip“. Kleinigkeiten? Klar. Aber sie stören trotzdem.

Martin Oehlen

Theres Essmann: „Federico Temperini“, Klöpfer, Narr, 164 Seiten, 18 Euro.

Essmann

 

 

 

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