Selim Özdogans erfrischend rotzfrecher Krimi über Heimat und Darknet

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Foto: Bücheratlas

Nizar Benali hatte schon viele Jobs. Er war Personal Trainer bei reichen Typen, die ihn wie Dreck behandelt haben. Er hat Pakete ausgeliefert, für wenig Geld als Kurierfahrer gearbeitet und einen Kiosk betrieben, dessen geschwätzige Kunden ihm auf die Nerven gingen. Doch was will man erwarten von einem „Schwarzkopf“, der im berüchtigten Westmarkt-Viertel aufgewachsen ist? Von dort aus gelingt nur wenigen der Absprung in die Welt der „Weißbrote“, der Deutschen ohne Migrationshintergrund. Und die, die rauskommen, landen in der Regel im Knast.

Benali, unehelicher Sohn einer Tunesierin, hat es dennoch geschafft. Er hat Westmarkt hinter sich gelassen und arbeitet jetzt als Detektiv für Internetkriminalität. Seine Fälle sind Jungs, die in der Schule gemobbt werden, weil sie angeblich Nacktbilder ihrer Ex-Freundin ins Netz gestellt haben, und Kunden, deren Online-Bestellungen nicht angekommen sind. Sein bislang größter Auftrag: Er soll einen Dealer ausfindig machen, der im Netz das Rauschmittel Mephedron angeboten hat. Ein junger Mann ist an dem Stoff gestorben. Jetzt will sein Vater die Hintermänner des tödlichen Deals aufspüren. Doch wer ist der Händler, der sich Toni­_meow nennt? Benali begibt sich im Darknet auf die Suche.

„Der die Träume hört“ ist der erste Kriminalroman von Selim Özdogan. Der Kölner Schriftsteller hat bereits zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht. Er war unter anderem „Writer in Residence“ an der University of Michigan und 2018 Stipendiat der Kunststiftung NRW. Bekannt wurde er 1995 durch seinen Debütroman „Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist“.

Einsamkeit ist auch eines der großen Themen in „Der die Träume hört“. Ich-Erzähler Benali erfährt eines Tages, dass ein One-Night-Stand vor 17 Jahren nicht ohne Folgen geblieben ist. Lesane heißt der verstockte Teenager, der dealt, statt zur Schule zu gehen, und kürzlich seinem Stiefvater eine reingehauen hat, weil der ihm die Fernbedienung wegnehmen wollte. Jetzt ist er für ein paar Tage bei Benali untergekrochen und wird schon bald in dessen Ermittlungen hineingezogen. Vater und Sohn sind zwei Verlorene auf der Suche nach Nähe und Heimat – so wie die meisten, denen der Geruch von Westmarkt noch in den Kleidern hängt.

Eindringlich schildert Özdogan die Wurzellosigkeit der zweiten und dritten Einwanderungsgeneration. „Schwarzköpfe“ wie er, so die Lektion, die Benali schmerzlich gelernt hat, werden in der Welt der deutschen „Weißbrote“ allenfalls als Exoten akzeptiert. Denn für sie gelten andere Regeln als dort, wo er aufgewachsen ist. „Keiner von denen hat schon mal wegen einer einzelnen Tafel Schokolade im Supermarkt Hausverbot bekommen. Wenn sie so etwas gemacht hatten, war es ein Dummejungenstreich gewesen. Sie bekamen kein Hausverbot, und Hauptgrund dafür war: Bei ihnen zu Hause gab es im Schrank Schokolade. Ich bekam Hausverbot, weil es zu Hause keine Schokolade gab und manchmal nicht einmal Nudeln.“

Özdogan ist mit „Der die Träume hört“ viel mehr als ein spannender Krimi gelungen. Sein Buch ist auch eine Geschichte über das, was Heimat und Familie ausmacht, was Solidarität und Freundschaft bedeuten. Vor allem aber gewährt es einen intensiven Einblick in die Welt der Einwanderer und ihrer Kindes- und Kindeskinder, wo schon eine falsche Postleitzahl auf dem Bewerbungsschreiben die Chancen mindert, einen guten Job zu bekommen. Ein weiterer Pluspunkt dieses Krimis: der rotzig-freche Erzählstil, der keinerlei Sentimentalitäten aufkommen lässt.

Petra Pluwatsch

Selim Özdogan: „Der die Träume hört“, Edition Nautilus, 288 Seiten, 18 Euro. E-Book 8,99 Euro.

Özdogan-Cover

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