Barbara Honigmann erzählt das deutsch-jüdische, bohèmehaft-kommunistische Leben ihres Vaters Georg

 

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Georg Honigmann, den Flüchtling aus jüdischer Familie, zog es nach dem Krieg zurück nach Deutschland und hinein in den Kommunismus ostdeutscher Prägung. Foto: Bücheratlas

„Heirate oder heirate nie, du wirst beides bereuen.“ Diesen Spruch hat der Titelheld des Romans „Georg“ seiner geliebten Großmutter aus „Dammschtadd“ zugeschrieben, obwohl er doch, wie die erzählende Tochter vermerkt, von Kierkegaard stamme. Dieser Georg nun hat sich in der Heiratsfrage für die erste Wahlmöglichkeit entschieden. Und das mehrere Male. Mit einer Besonderheit obendrein: „Mein Vater heiratete immer dreißigjährige Frauen. Er wurde älter, aber seine Frauen blieben immer um die dreißig. Die erste, die zweite, die dritte und die vierte Frau. Sie hießen Ruth, Litzy, das war meine Mutter, Gisela und Liselotte.“ Die Litzy in dieser Liste war zuvor die Ehefrau des Spions Kim Philby gewesen, die Gisela war die Sängerin und Schauspielerin Gisela May, berühmt nicht nur in der DDR.

Nachdem Barbara Honigmann, in Ostberlin geboren und heute in Straßburg zuhause, bereits das Leben ihrer Mutter in dem Roman „Ein Kapitel aus meinem Leben“ geschildert hat, wendet sie sich nun ihrem Vater zu. Es ist ein sanftes Porträt, aber keine Heldenverehrung. Ein schmales, intensives, liebevoll kritisches und humorvolles Werk, das im Privaten sehr viel von deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert erzählt. Nun stellt Barbara Honigmann das Buch im Literaturhaus Köln vor.

Der Vater sei „bissig und charmant, immer witzig und immer ein bisschen traurig“ gewesen, lesen wir, „widersprüchliche Eigenschaften, die vielleicht von der ‚miesen Erbschaft‘ stammten, dem ewigen Zwischen-den-Stühlen-Sitzen.“ Aufgewachsen in einer jüdischen Familie im Hessischen, besuchte Georg Gabriel Honigmann die Odenwaldschule und machte dann Karriere als Journalist. Dabei wäre er wohl viel lieber Arzt geworden. Man weiß gar nicht, was man davon halten soll. Denn als Hobby-Mediziner verfolgte er ungewöhnliche Therapie-Ansätze: „Wir bekämpfen das Fieber, indem wir es nicht messen.“

Als Korrespondent der „Vossischen Zeitung“ war er erst in Hessen stationiert, dann in Düsseldorf, wo er das Bohème-Leben rund um die Kultfigur Mutter Ey genoss, schließlich ab 1931 in London. Aber nur zwei Jahre. Denn nachdem die Nazis an die Macht gekommen waren, war er seine Stelle los. Er arbeitete im Exil für einige britische Zeitungen, wurde als Flüchtling in Kanada in einem Lager interniert, spionierte für die Sowjetunion und siedelte sich schließlich in der DDR an. Dies sei das Allerletzte gewesen, schreibt Barabara Honigmann, was die Familie dem „Schorschel“, dem Bohemien der 20er Jahre zugetraut hätte – „dass er ausgerechnet Kommunist werden würde.“ Und dann noch in Deutschland. Die Mehrzahl seiner nach Amerika oder England geflohenen Vettern und Cousinen habe dieses Land, in dem der Massenmord an den Juden begangen worden war, nie mehr betreten.

Barbara Honigmann selbst stellt sich die Frage, was den Vater ins „Nachnaziland“ und in den Kommunismus getrieben haben könnte. Die Sehnsucht nach Brüderlichkeit? Aber dann hätte er sich ja der Arbeiterklasse zugehörig fühlen müssen. Allerdings wüsste sie nicht zu sagen, „wann er je Bekanntschaft mit einem Arbeiter gemacht hätte“, schreibt sie, „und sowieso verachtete er immer noch alle, die Platon und Sophokles nicht im Original studiert hatten“. In der DDR arbeitete der Vater bei der Defa und war Direktor des Kabaretts „Die Distel“. Er starb 1984.

Eine beeindruckend komplexe Persönlichkeit lugt aus diesen Seiten hervor. Der Vater ist – wie zuvor schon die Mutter – auch für Barbara Honigmann nicht ganz zu packen. So führt die Autorin noch die eine oder andere Frage an, ohne eine Antwort zu finden. Aber das ist kein Mangel, sondern eine Qualität. Zumal letztlich kein Leben in all sein Facetten erzählt werden kann. Es sind immer nur Ansätze, Annäherungen. Daraus kann starke Literatur werden. Und das gelingt hier auf kurzer Strecke begeisternd gut.

Martin Oehlen

http://www.ksta.de

Barbara Honigmann: „Georg“, Hanser, 158 Seiten, 18 Euro. E-Book: 13,99 Euro.

Honigmann

Lesung mit Barbara Honigmann

in Köln im Kölner Literaturhaus am 22. Mai um 19.30 Uhr. Es moderiert Sandra Kegel. Veranstaltungspartner ist die Buchhandlung Klaus Bittner;

in Wiesbaden am 12. Juni im Literaturhaus Villa Clementine;

in Stuttgart am 25. Juni im Literaturhaus.

Weitere Termine folgen ab September.

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