Christoph Heins „Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“

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Christoph Heins Schriftsteller-Karriere begann in der ersten Hälfte der 70er Jahre in Berlin, Hauptstadt der DDR. Foto: Bücheratlas

Ein schönes Buch zum Geburtstag. Mit Anekdoten aus einem intensiven Dichterleben. Das war vermutlich die Überlegung gewesen, als sich Christoph Hein an den Band „Gegenlauschangriff“ machte. Der liegt nun vor. Aber die Freude darüber ist nicht völlig ungetrübt, jetzt, da der Schriftsteller am 8. April seinen 75. Geburtstag begeht.

Es gibt einige kräftige Geschichten. Die handeln zumal von den Tricks und Tragödien in einer Diktatur. Einmal erzählt Hein davon, wie der Schauspieler Manfred Krug nach der Biermann-Ausbürgerung den Besuch einiger hoher Funktionäre in seiner Wohnung heimlich mitgeschnitten hat, also zum titelgebenden „Gegenlauschangriff“ geschritten ist. Ein anderes Mal schildert er, wie er,  der Pfarrerssohn, in Thomas Brasch einen Freund fand; doch dessen Vater, Kulturminister in der DDR, sorgte mit einer Intrige dafür, dass sich die beiden Freunde wieder verloren.

Und schließlich geht es um den Roman „Horns Ende“, den die Zensur kritisierte. Änderungen sollten her. Tatsächlich lieferte Hein „alle zwei, drei Monate einen neuen Ausdruck“. Die Fassungen unterschieden sich deutlich im Umfang – allerdings nicht im Inhalt.  Hein hatte nur das jeweilige Seitenlayout geändert, aber nicht den Text. Zu komisch, diese Schwejkiade, wäre sie nicht zu trist, diese Drangsalierung.

Allerdings wirken Heins „Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“ einige Male auch recht eitel und einige Male recht gallig und dann auch mal beides zusammen. So habe er mit seinem Drama „Cromwell“ im Jahre 1974  eine „frühe Untergangsprophezeiung“ für die DDR geliefert, schreibt er. „Selbst das Ende des Staates sagte ich korrekt voraus: Die zurückkehrende alte Macht, der König, lässt den bereits verwesenden Leichnam des Übeltäters ausgraben, um ihn  aufzuhängen und anschließend zu köpfen.“ Dieses Ende des Dramas habe „genau den nach 1989 einsetzenden Bemühungen der siegreichen Macht“ entsprochen, den zweiten deutschen Staat, „also das bereits verwesende Völkerrechtssubjekt zu hängen und zu köpfen.“ War die Bundesrepublik Deutschland tatsächlich so drauf?

Hein nutzt diese Anekdoten-Sammlung zudem für einige Klarstellungen in eigener Sache. Und nicht immer mag man ihm folgen. Nicht bei seiner Abrechnung mit Florian Henckel von Donnersmarck, in dessen mit einem Oscar prämierten Spielfilm „Das Leben der Anderen“  (2006) er sich porträtiert wähnt, aber nicht realistisch porträtiert sieht („Mein Leben verlief völlig anders.“). Auch nicht bei der Schilderung seiner gescheiterten Berufung zum Intendanten des Deutschen Theaters in Berlin,  nachdem er „überaus diskret eine gute, eine sehr gute Mannschaft zusammenbekommen“ hatte. Das Scheitern schreibt er der Senatsverwaltung und den „erregten Pressetraktate(n)“ zu. Er zitiert einen Freund, der ihm den Eindruck übermittelt habe, „dass es etwas gegeben habe, was es in der Bundesrepublik eigentlich nicht geben könne: einen zentralen Feuerbefehl gegen mich.“ Oha.

Nun musste Hein in der „Zeit“ auch noch einräumen, dass er in einem Text aus „Gegenlauschangriff“ einen „Spiegel“-Korrespondenten fälschlicherweise als „Schurken“ bezeichnet hatte. Das Interview, das Hein dafür zum Anlass nahm, habe nicht 1993, wie angegeben, sondern 1998 stattgefunden, und der Besucher habe nicht Ulrich Schwarz, sondern Volker Hage geheißen (was aber auch schon wieder strittig ist). Wer auch immer da in der Türe gestanden hat, soll zur Begrüßung gesagt haben: „Herr Hein, wir haben leider nichts gegen Sie in der Hand.“ Und weil dieser Journalist (welchen Namens auch immer) beim Studium der Stasi-Akten nichts Verstörendes über Hein gefunden habe, sei „bei ihm ein Lächeln der Enttäuschung“ zu sehen gewesen. Wer glaubt denn sowas?

Ja, gewiss kennt Hein noch viel mehr deutsch-deutsche Anekdoten. Und nicht wenige hat er schon in den vergangenen Jahrzehnten erzählt. So schildert er in dem Band „Die fünfte Grundrechenart“ (1990), wie er von der Maueröffnung erfahren hatte. Mit seiner Ehefrau sei er am 9. November bei seinem Verleger gewesen. Gegen Mitternacht bricht das Paar auf, kann kein Taxi auftreiben und geht deshalb zur Straßenbahn. Während der Heimfahrt fällt ihm eine Frau auf, die nicht weiß, wo sie aussteigen soll. Hein bietet ihr seine Hilfe an: „Ich muss meine Schwägerin wecken, erwidert sie mir begeistert, mein Bruder ist drüben.“ Hein hält sie für verwirrt und geht in Deckung. Erst als er zuhause den Fernseher einschaltet, sieht er, was Sache ist: „Die Mauer wurde geöffnet. Eine der unüberwindlichsten Grenzen in Europa wurde zum Tanzboden der Deutschen.“

Was daraus geworden ist? Die Wiedervereinigung ist nach Ansicht des Autors nicht geglückt. Zum programmatischen Ende seines neuen Bandes bilanziert er unter der Überschrift „Verwachsen“ den Status Quo: „Die beidseitige Abneigung und der gereizte Widerwille wichen einem gleichgültigen Desinteresse.“ In weiteren 30 Jahren, so schließt Hein, „kann dann endlich zusammenverwachsen, was zusammengehört.“

Martin Oehlen

Christoph Hein: „Gegenlauschangriff – Anekdoten aus dem letzten deutsch-deutschen Kriege“, Suhrkamp, 126 Seiten, 14 Euro. E-Book: 11,99 Euro.

Hein

 

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