
Foto: Bücheratlas
„Vielleicht sollten wir die Tour im Sommer machen“, sagt Melanie Raabe. Wir haben im Eingang des „Metropolis“ Schutz gesucht, ihrem Lieblingskino am Kölner Ebertplatz. Regen pladdert aus einem grauen Himmel. Die Wolken hängen tief. Gerade hat sich die Krimiautorin in einem nahen Drogeriemarkt noch schnell einen Regenschirm besorgt. „Was soll’s?“ Melanie Raabe zurrt den Gürtel ihres Trenchcoats fest. „Wir wagen das jetzt.“
Seit zweieinhalb Jahren wohnt die 38-Jährige in einer Altbauwohnung im Agnesviertel. Zeit genug, um sich einzugewöhnen in einer Gegend, die anfangs nicht die ihre war. Vorher habe sie viele Jahre in Ehrenfeld gewohnt, erzählt Melanie Raabe. „Dort ist es sehr lebendig. Es gibt viele Designer. Anfangs habe ich das alles ziemlich vermisst. Im Agnesviertel geht es wesentlich ruhiger und gesetzter zu.“ Inzwischen schätze sie diese Ruhe. „Je hektischer mein Leben wird, desto glücklicher bin ich, hier zu leben.“

Im Café Toré Foto: Bücheratlas
Ein Schreibcafé wie das im Weltempfänger Hostel in Ehrenfeld, wo viele ihrer Bücher entstanden seien, habe sie im Agnesviertel allerdings noch nicht gefunden. Dabei gebe es im Viertel einige, die durchaus zum Verweilen einlüden. Das Café Toré an der Neusser Straße zum Beispiel. Klein und gemütlich wie ein Wohnzimmer sei es, schwärmt Melanie Raabe trinken Kaffee, lesen Bücher und machen es sich nett.“

Vor dem Café Elefant Foto: Bücheratlas
Oder das Café Elefant in der Weißenburgstraße, in das wir eine Stunde später vor dem Regen flüchten. Ein altersdunkler Holzboden. Schlichte Tische und Stühle, die eng – „zum Schreiben leider zu eng“ – beieinanderstehen. Melanie Raabe bestellt einen Kakao, der köstlich duftet. „Ich habe mir vorgenommen, weniger Kaffee zu trinken“, erklärt sie. Und tunkt ihren Löffel genüsslich in einen Berg Sahne, der in einer kleinen Schale serviert wird.
Drei Kriminalromane hat sie in den vergangenen vier Jahren veröffentlicht, zuvor zwei weitere Bücher unter einem Pseudonym. Köln spielt in keinem davon eine Rolle. Schauplatz ihres jüngsten Krimis „Der Schatten“, 2018 bei btb erschienen, ist Wien. „Ich möchte Köln für mich behalten und mit niemandem teilen“, sagt die Wahlkölnerin, die in Thüringen und in Wiehl im Bergischen Land aufwuchs. Anschließend folgte ein Literaturstudium in Bochum, schließlich ein Zeitungsvolontariat in Köln. „Anfangs wollte ich schnell wieder weg, aber inzwischen haben wir uns richtig gut zusammengerauft.“

Zuspruch für die Bar Celentano Foto: Bücheratlas
Statt wegzuziehen habe sie ein anderes Modell gefunden, um ihr Fernweh zu stillen. „Ich versuche, einen Monat im Jahr in einer anderen Stadt zu leben.“ Im vergangenen Jahr hat sie den Sommer in New York verbracht. Und in diesem? „Man wird sehen.“ Wir stehen vor der Bar Celentano in der Maybachstraße. Hinter der schlichten, hell verputzten Fassade verbirgt sich beileibe keine Bar, sondern ein italienisches Restaurant. „Mein Lieblingsitaliener“, sagt Raabe. „Hier gibt es Antipasti wie in Italien. Der Fernseher läuft ohne Unterlass, und es ist immer laut.“ Im Sommer trinke sie gern draußen vor dem Lokal einen Apéro. „Im Winter träume ich davon.“

Signiertes Graffitto in der Maybachstraße Foto: Bücheratlas
Schräg gegenüber steht eine Hausruine, die vermutlich aus dem Zweiten Weltkrieg stammt. Hier tummeln sich im Sommer die Mauersegler. Sie liebe diese Vögel mit ihrem schrillen Pfeifen, verrät die Autorin. Und führt uns Richtung Krefelder Straße zu einem weiteren ihrer persönlichen Highlights: eine bunt bemalte Hausfassade, gestaltet von Marina Muun und Slav Gipsy, zwei Londoner Street-Art-Künstlern.

Einkehr-Option in der Krefelder Straße Foto: Bücheratlas
Sie arbeite inzwischen viel zu Hause, tagsüber sehe sie nur selten Menschen, erzählt Raabe, während wir gemächlich die Krefelder Straße hinunterschlendern. Vorbei am Edellokal Le Moissonnier, in dem sie noch nie gegessen hat („leider zu teuer“), und an der Avila Tapas Bar, in der sie gern einkehrt („supergünstige Tapas, die man sonst nirgends bekommt“).
Mittags, nach der ersten „Schreibsession“, gehe sie oft hinunter zum Rhein, um den Kopf freizubekommen. „Hier komme ich auch her, wenn ich feststecke. Fließendes Wasser soll ja helfen.“ Abends, nach vielen Stunden des Alleinseins, brauche sie Menschen um sich herum. „Sonst kann ich bald nur noch über mein Arbeitszimmer schreiben.“ Dann geht sie vielleicht in die Toddy Tapper Bar in der Schillingstraße, wo der Barkeeper „unfassbar gute Drinks serviert“.

Der Jazz Kiosk weist auf die Nachtruhe hin. Foto: Bücheratlas
Der Jazz-Kiosk in der Balthasarstraße macht seinem Namen alle Ehre. Klassische Jazzmusik dudelt aus den Lautsprechern, als befänden wir uns in einer schummrigen Bar irgendwo in Manhattan. „Ich liebe alten Jazz“, sagt Melanie Raabe. Sie inspiziert das Regal mit Süßigkeiten. Vor dem Fenster stapeln sich Bierkästen. Im Schaufenster steht eine mannshohe Humphrey-Bogart-Figur. Inan Akay, Besitzer des Kiosks, erzählt, ein Mitarbeiter sei selber Musiker. Daher also die Jazzmusik. „Unsere Kunden waren begeistert, und irgendwann wurde der Laden umgetauft in Jazz Kiosk.“

Die Agnes Buchhandlung war schon zweimal unter den Siegern des Deutschen Buchhandlungspreises. Foto: Bücheratlas
Von hier aus ist es nicht weit zur Agnes Buchhandlung auf der Neusser Straße, Melanie Raabes Lieblingsbuchladen im Veedel. „Hier kann man gut stöbern“, sagt sie und begutachtet den Tisch mit den aktuellen Bestsellern. „Der Laden ist gut sortiert, und die Mischung ist genau richtig.“ Und schon fachsimpelt sie mit Besitzer Uli Ormann über „Neujahr“, den neuen Roman von Juli Zeh, der ihr zumindest partiell gut gefallen hat.
Der Himmel hat sich weiter verdunkelt. Wir streichen den Abstecher in den Skulpturenpark, den Melanie Raabe mag, „weil man darin so schön herumwandern und sich erholen kann“. Sie komme gern her, um durchzuschlendern „ohne viel zu denken“. Doch jetzt ist es Zeit einzukehren. Heißen Kakao trinken. Mit ganz viel Sahne.
Petra Pluwatsch
Lesung mit Melanie Raabe im Rahmen der ersten Kölner Literaturnacht – am 4. Mai 2019 um 20 Uhr in der Comedia.
Melanie Raabe: „Der Schatten“, btb, 416 Seiten, 16 Euro. E-Book: 12,99 Euro.