
Heilige wie diese Heroen hier sind eher selten in den Kriminalromanen von Elizabeth George. Das fällt uns gerade im aktuellen Fall auf, für den in kirchlichen Kreisen ermittelt werden muss. Fotos: Bücheratlas.
Ein Diakon erhängt sich nach seiner Festnahme in einer Arrestzelle. Doch hat Ian Druitt tatsächlich Selbstmord begangen, weil er den Vorwurf, ein Kinderschänder zu sein, nicht ertragen konnte? Oder ist der Gottesmann nicht ganz freiwillig aus dem Leben geschieden? Letzteres schließt zumindest dessen Vater, ein reicher Brauereibesitzer, nicht aus. Und da der mit einem Abgeordneten befreundet ist, wird Scotland Yard eingeschaltet, um die Hintergründe von Druitts Tod aufzuklären.
Elizabeth George entführt ihre Leser in „Wer Strafe verdient“, dem 20. Krimi ihrer Inspector-Lynley-Reihe, tief in die englische Provinz. Ort der bösen Tat ist Ludlow, ein Kaff an der Grenze zu Wales mit knapp 10 000 Einwohnern. Hier saufen sich die gelangweilten Collegestudenten allabendlich um den Verstand, allen voran die attraktive Ding und ihre beiden Mitbewohner Brutus und Finn.
Sergeant Barbara Havers und ihre Chefin Isabelle Ardery haben nur wenige Tage Zeit, um den Tod des Diakons zu untersuchen. Zumal Isabelle mehr damit beschäftigt ist, ihre Alkoholsucht zu kaschieren, als Licht in den undurchsichtigen Fall zu bringen. Also muss irgendwann DJ Thomas Lynley ran. Gemeinsam mit Barbara Havers arbeitet er sich durch ein Gestrüpp aus Lügen und Vertuschungsversuchen. Die Kleinstadtidylle entpuppt sich schon bald als wahres Drachennest.
Elizabeth George nimmt sich viel Zeit, um den Fall Druitt aufzuklären. 860 Seiten hat das Buch, und ein Großteil davon beschäftigt sich mit dem Privatleben der Protagonisten. Wer die Vorgängerbände der Reihe kennt, fühlt sich bisweilen, als sei er bei einer betulich-behaglichen Familienfeier irgendwo auf dem Land. Alles liebe, alte Vertraute, von denen man lange nichts gehört hat. Elizabeth George verfolgt damit ein etwas in die Jahre gekommenes Krimikonzept: viele Seiten für relativ wenig Handlung. Der eigentliche Kriminalfall ist vergleichsweise schnell erzählt, auch wenn dessen Vorgeschichte recht verzwickt und psychologisch nicht immer überzeugend ist. Bisweilen verliert sich die Geschichte in zu vielen Nebenschauplätzen, die nicht relevant sind für den Fortgang der Handlung.
Dass das Konzept dennoch aufgeht, liegt zweifellos an der Fähigkeit der Autorin, ihre Leser emotional zu packen und in die Handlung hineinzuziehen. Seit dem Start der Serie vor nunmehr 30 Jahren erobern die Lynley-Krimis weltweit die Bestsellerlisten – auch „Wer Strafe verdient“ tummelt sich auf den vorderen Plätzen. Man merkt Elizabeth George an, dass sie Spaß am Erfinden von Geschichten und am üppigen Erzählen hat. Sicher, man braucht Zeit und ein wenig Geduld für ihre Bücher. Es sind Winterabend-Krimis, in die man sich hineinkuscheln kann wie in eine warme Decke. Was nicht das Schlechteste ist.
Petra Pluwatsch
Elizabeth George: „Wer Strafe verdient“, dt. von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann, Goldmann, 864 Seiten, 26 Euro. E-Book: 25,99 Euro.