
Fotos: Bücheratlas
Intuition bestimmte schon häufig das Handeln des Pariser Kommissars Jean-Baptiste Adamsberg. Doch seit er aus einem Islandurlaub zurückbeordert wurde in die französische Metropole, scheint der schmächtige Südfranzose abgedrehter denn je. Der Chef sieht Gespenster – das jedenfalls glauben die Mitglieder seiner Brigade Criminelle, allen voran sein Stellvertreter Danglard. „Windiger und wogender denn je, mit unstetem Blick und vagem Lächeln, schien der Kommissar alle genauen Bezugspunkte verloren zu haben, denen seine Ermittlungen ja doch immerhin folgten wie zwar spärlichen, aber beruhigenden Wegmarkierungen.“
Die Brigade ist erst recht verunsichert, als Adamsberg eine Mordermittlung anregt, die auf recht wackeligen Beinen steht. Drei betagte Männer sind irgendwo im Süden Frankreichs durch den Biss einer Einsiedlerspinne zu Tode gekommen. Nicht ungewöhnlich bei dem fortgeschrittenen Alter der Herren. Daraus auf eine Mordserie zu schließen – das schafft in der Tat nur ein „nebulöser Geist“ wie Adamsberg. Jedes Mal, wenn er von der Spinne spricht, verspürt er eine Nackenverspannung und ein leichten Unwohlsein.
So kommt es im jüngsten Roman von Fred Vargas alsbald zur Palastrevolution, und dem Kommissar bleiben nur einige wenige Getreue, um den vermeintlichen Mörder zur Strecke zu bringen. Das alles liest sich – nicht zuletzt dank der hervorragenden Übersetzung von Waltraud Schwarz – höchst vergnüglich. Die französische Krimischriftstellerin, die beste ihres Fachs im Nachbarland, läuft in „Der Zorn der Einsiedlerin“ sprachlich wie inhaltlich zur Höchstform auf. Mit lakonischem Witz schildert sie die kleinen und großen Spleens dieser Brigade Criminelle, die sich schließlich von ihrem Chef überzeugen lässt, dass sehr wohl eine Mordserie vorliegen könnte.
„Der Zorn der Einsiedlerin“ ist der elfte Band der Adamsberg-Reihe, die in Frankreich bereits 1991 startete. In Deutschland erschien der erste Band – „Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord“ – erst 2003. Seitdem hat die scheue Französin, die 1957 unter dem Namen Frédérique Audoin-Rouzeau in Paris geboren wurde, auch hierzulande eine treue Fangemeinde. 2004 und 2016 erhielt sie den Deutschen Krimipreis, vier ihrer Romane wurden als „Krimi des Jahres“ ausgezeichnet.
Fred Vargas Bücher leben weniger von ihrem Plot als von den schrägen Vögeln, die darin die Hauptrolle spielen. Da ist Danglard, ein Mann, der beherrscht wird von mannigfachen Ängsten und mehr weiß als jedes Lexikon. Seine Furcht vor der Welt spült er mit viel Weißwein herunter. Kollegin Froissy hortet heimlich Nahrungsmittel in ihrem Zimmer. Der fette Kater, der zur Brigade gehört, wohnt auf dem büroeignen Kopierer und lässt sich zu seinem Futternapf tragen.
Kaum zu glauben, dass diese wunderliche Truppe trotz allem mit ihren Mordermittlungen vorankommt. Natürlich findet sich am Ende die Lösung. Wie sich das in einem guten Krimi gehört. Und gut ist dieser elfte Band der fabelhaften Adamsberg-Reihe. So gut, dass die Zeit lang werden dürfte bis zu Band Nummer zwölf.
Petra Pluwatsch
Fred Vargas: „Der Zorn der Einsiedlerin“, dt. von Waltraud Schwarze, Limes, 512 Seiten, 23 Euro. E-Book: 18,99 Euro.