
Eine Amerikanerin am Rhein: Jennifer Egan im Kölnischen Kunstverein unmittelbar vor ihrer Kölner Lesung. Foto: Bücheratlas
Noch ist Amerika nicht verloren. Nicht, solange es so helle Köpfe gibt wie Jennifer Egan einer ist. Es dauert bei der Lesung in Köln fast eine Stunde, bis der Name das erste Mal fällt: Donald Trump. Die amerikanische Schriftstellerin, die mit ihrem Roman „Manhattan Beach“ derzeit auf Lesereise in Deutschland ist, skizziert da im Kölnischen Kunstverein gerade die amerikanische Psyche. Physische Gewalt, meint sie, sei von Anfang an ein wesentliches Element gewesen – eben beginnend mit der Vertreibung der Ureinwohner des Kontinents, der „native americans“. Und dieses Gewalt-Element finde sie gegenwärtig auch beim US-Präsidenten, der eine latente Bedrohung vermittele. Seine Botschaft laute: Wenn ihr nicht macht, was ich will, habe ich immer noch ein paar Schläger im Hinterzimmer. „Das“, sagt Egan, „ist sehr amerikanisch“.
Von Gewalt ist auch in ihrem viel gepriesenen historischen Roman die Rede, der im New York der 40er Jahre spielt, in der damals größten Schiffswerft des Landes. Die „Noir“-Atmosphäre habe sie sehr angezogen, sagt sie, dieses Mysteriöse und Gefährliche jener Jahre, als Gangster in der Gesellschaft noch einen Platz hatten: „Heute kennt ja keiner mehr einen Gangster persönlich.“ Dexter Styles heißt der Verbrecher im Roman, auf den Anna stößt, als sie die erste Marinetaucherin des Landes werden will. Die junge Frau verkörpert gleichsam einen weiteren Aspekt der amerikanischen Psyche, den Egan im Gespräch mit Moderator Julian Hanebeck benennt. Gemeint ist der Glaube an die Transformation, an die Möglichkeit, ein anderer zu werden, beispielsweise als Migrant ein „echter“ US-Bürger.

„Der Büchertisch“ bei Lesungen – das wäre auch einmal ein Thema für eine kulturgeschichtliche Betrachtung. In diesem Falle hat ihn die Buchhandlung Klaus Bittner bestückt. Den aktuellen Bestand der Jennifer-Egan-Werke ziemlich perfekt erfassend. Foto: Bücheratlas
Das sei für sie der besondere Reiz beim Schreiben, fuhr die ebenso sympathische wie auskunftsfreudige Egan bei der Veranstaltung des Kölner Literaturhauses fort. Die Möglichkeit nämlich, sich als Schriftstellerin in Personen zu versetzen, die von ihrem eigenen Leben sehr weit entfernt seien. Dabei komme es ihr darauf an, deren Sinnen und Trachten so plausibel wie möglich zu erzählen. Würde sie einen Roman über Trump schreiben, sagt Egan, dann müsste darin deutlich werden, woher dessen „Wut, Angst und Paranoia“ rühre. Allerdings setzte sie gleich hinzu: Aktuell fühle sie sich zu einem solchen Werk nicht hingezogen.
Vielleicht liegt dies auch daran, dass Jennifer Egan eh schon genug mit Trump zu tun hat. Nicht nur als Privatperson wie jeder US-Amerikaner, sondern auch als Präsidentin des amerikanischen Pen-Clubs. Sie hätte es sich nicht träumen lassen, sagte sie im Gespräch vor der Veranstaltung, dass sie in dieser Rolle einmal die Meinungsfreiheit in den USA würde verteidigen müssen, zumal die Pressefreiheit.
Wer Jennifer Egan live in Deutschland erleben will, hat noch zwei Gelegenheiten dazu. In Hamburg und Berlin. Es lohnt sich.
Martin Oehlen
Jennifer Egan: „Manhattan Beach“, dt. von Henning Ahrens, S. Fischer, 496 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.
Lesungen mit Jennifer Egan:
in Hamburg am 14. September (Cap San Diego, Luke 5, Überseebrücke um 20 Uhr) und
in Berlin am 15. September in Berlin (Haus der Berliner Festspiele um 19.30 Uhr, Schaperstraße 24).