Eliza schreibt bissige Briefe an die „liebe Joan“: Jane Gardams Roman „Gute Ratschläge“ ist ein großes Lesevergnügen

Ein Hund (und nicht die Katze auf dem Buchcover) spielt für Eliza eine große Rolle. Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Eliza Peabody möchte man nicht zur Nachbarin haben. Tagtäglich sitzt die 51-Jährige mit den feuerroten Locken in ihrem Haus in der Rathbone Road am Rande von London und beobachtet die Nachbarschaft. Besonders die Bewohner von Haus 34 haben es ihr angetan: Charles Fish, der im Auswärtigen Amt arbeitet und in den sie ein wenig verliebt ist. Sarah und Simon, die beiden fast erwachsenen Kinder. Und natürlich Charles Ehefrau Joan. Joan mit dem schlimmen Bein, die eines Tages Haus, Hund und Familie verlässt, um allein nach Asien zu reisen.

Mit schwarzem Humor

Krank sei das, schreibt Eliza Peabody in einem ihrer zahlreichen Briefe an die abenteuerlustige Nachbarin. Statt durch die Welt zu reisen, müsse die moderne und emanzipierte Frau den „inneren, spirituellen Weg“ für sich finden, und dafür brauche man nicht in den Orient zu gehen. Selbstredend, dass Eliza Peabody weder darauf noch auf ihre weiteren Briefe eine Antwort erhält.

Ungehört verhallen ihre „Guten Ratschläge“, so der Titel dieses außergewöhnlichen Briefromans von Jane Gardam. Die englische Originalausgabe „The Queen of the Tambourine“ erschien bereits 1991. Seitdem mussten die deutschen Leserinnen und Leser auf die Übersetzung warten. Jane Gardam, inzwischen 96 Jahre alt und spätestens seit ihrem Roman „Robinsons Tochter“ auch hierzulande eine Attraktion, entwirft in „Gute Ratschläge“ mit viel schwarzem Humor das Porträt einer zutiefst einsamen und vom Leben enttäuschten Frau.

Limettensaft auf der Veranda

Immer länger werden Eliza Peabodys Briefe an die „liebe, gute Joan“, immer mehr private Details gibt sie preis. Und immer böser, immer sarkastischer fallen ihre Kommentare über das Leben in der Vorstadt aus, wo ein strunz-langweiliger Leseabend bei Pixie Leak der Höhepunkt des Monats ist. „Ich sehe dich mit nackten Füßen auf einer schattigen Veranda Limettensaft trinken und meine Briefe sichten und gottfroh an alles denken, dem du entronnen bist“, schreibt sie Joan rund ein Jahr nach deren Flucht in den Orient.

Seit Ehemann Henry, ein ehemaliger Diplomat, sie verlassen hat, verbittert Eliza immer mehr. 30 Jahre habe sie sich um ihn gekümmert, schreibt sie. „Immer bin ich die Frau gewesen, die sich um andere sorgt.“ Nun sitze sie tagein, tagaus am Fenster und halte Ausschau, „dass jemand wiederkommt – na ja, eben Henry“. In der Nachbarschaft beginnt man sich Sorgen zu machen um Eliza Peabody, die in einem goldfarbenen Gewand herumläuft und Geschichten erzählt, die sich nicht mit der Wirklichkeit decken. Sie müsse einen Arzt konsultieren, raten ihr Richard und Dulcie, die in einem der Nachbarhäuser wohnen. Und aufhören zu fantasieren. Halluzinationen seien gefährlich „und machen allen Beteiligten Angst. Sie sind zerstörerisch“.

Der Riss in der Ehe

Doch hat Eliza Peabody wirklich Halluzinationen, wenn sie von ihren Begegnungen mit fremden Männern erzählt und von einer Reise nach Oxford, wo sie einst studierte? Wenn sie von ihren zwei Hunden spricht, obwohl sie nur ein Tier besitzt? Oder sind all diese Geschichten nicht vielmehr ein Schutzwall gegen das Leben, in dem ihr Schlimmes widerfahren ist? Langsam nur offenbart sich das Drama einer 20 Jahre zurückliegenden Katastrophe, die einen „Riss“ in Eliza Peabodys Seele verursacht und die Eheleute einander zunehmend entfremdet hat.

„Ich war immer nur eine Randfigur“, erkennt sie. „Habe immer nur herumgestanden. Im Nirgendwo. Und habe mich nie dieser Tatsache gestellt.“ Erst als Eliza Peabody sich ihrem Trauma stellt, beginnt ihr Heilungsprozess, und sie kann zu einer selbstbewussten, in sich ruhenden Frau werden. Sie bei diesem Entwicklungsprozess zu begleiten, ist 318 Seiten lang ein großes Lesevergnügen.

Petra Pluwatsch

Auf diesem Blog

haben wir von Jane Gardam zuletzt die Romane „Mädchen auf den Felsen“ (HIER) und „Robinsons Tochter“ (HIER) besprochen.

Jane Gardam: „Gute Ratschläge“, dt. von Monika Baark, Hanser Berlin, 318 Seiten, 25 Euro. E-Book: 18,99 Euro. 

2 Gedanken zu “Eliza schreibt bissige Briefe an die „liebe Joan“: Jane Gardams Roman „Gute Ratschläge“ ist ein großes Lesevergnügen

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