„Du bist es also“: Salman Rushdie schildert in „Knife“ seine „Gedanken nach einem Mordversuch“ – es ist ein Triumph

Salman Rushdie mit der Schriftstellerin und Fotografin Rachel Eliza Griffiths, die er 2021 geheiratet hat. Foto: Penguin Random House

Mit Größe auf Grausamkeit zu reagieren – das gelingt Salman Rushdie in seinem neuen Buch „Knife“ (Messer). Aber was heißt schon „Buch“! Es ist so viel mehr als nur eine weitere Veröffentlichung. Diese „Gedanken nach einem Mordversuch“ – wie es im Untertitel heißt – sind ein triumphales Überlebenszeichen. Zudem ist es eine notwendige Selbstvergewisserung, um „die Kontrolle zurückzugewinnen“, wie Salman Rushdie schreibt, um „mir das Geschehene anzueignen.“ Erst danach, so hatte er erkannt, würde er sich wieder anderen Geschichten zuwenden können.

„Es ist so lange her“

Worum es geht? So legt Salman Rushdie los: „Am 12. August 2022, einem sonnigen Freitagmorgen um Viertel vor elf, wurde ich von einem jungen Mann mit einem Messer angegriffen und beinahe getötet, nachdem ich gerade die Bühne des Amphitheaters in Chautauqua betreten hatte, um darüber zu reden, wie wichtig es ist, sich für die Sicherheit von Schriftstellerinnen und Schriftstellern einzusetzen.“

In dem Moment, als der Attentäter auf ihn zustürmte, so lesen wir einige Seiten später, habe er nur gedacht: „Da bist Du ja. Du bist es also.“ Der zweite Gedanke: „Warum heute? Echt jetzt? Es ist so lange her. Warum heute? Warum nach all den Jahren?“ Ja, es war 1989, als der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini die Fatwa verhängte, die dazu aufforderte, Salman Rushdie zu töten. Als Grund wurde der im Jahr zuvor erschienene Roman „Die satanischen Verse“ genannt, in dem angeblich der Prophet Mohammed beleidigt werde.

„Er wird es nicht schaffen“

Eindringlich schildert Salman Rushdie den Messerangriff in Chautauqua in der Nähe des Erie-Sees, rund 650 Kilometer westlich von New York City entfernt. Er skizziert die Hölle, durch die seine Ehefrau Eliza gehen musste, nachdem sie am Telefon die Nachricht erhalten hatte: „Er wird es nicht schaffen.“ Dann die Vielzahl der medizinischen Eingriffe, die das Leben des Autors gerettet haben, wenn auch nicht sein rechtes Auge. Die Reha, die Heimkehr.

Schließlich der fiktive Dialog mit dem Attentäter, den er – „man möge es mir nachsehen“ – einmal „Arschloch“ nennt und ansonsten nur A. „Dieser ‚A.‘ scheute die Mühe, sich über den Mann zu informieren, den er töten wollte“, schreibt Salman Rushdie. „Seinen eigenen Worten zufolge hatte er kaum zwei Seiten aus meinen Büchern gelesen, sich aber einige Filme auf YouTube über mich angesehen – mehr war nicht nötig.“

Angriff auf die Freiheit

Daraus schließt der Autor: „Worum auch immer es bei diesem Attentat ging, es ging nicht um ‚Die satanischen Verse‘.“ Und als Meistererzähler, als der er seit seinem zweiten Roman „Mitternachtskinder“ (1981) bekannt ist, stellt er fest: „Schriebe ich über jemanden, dessen Motiv für einen kaltblütigen Mord – kein Verbrechen aus Leidenschaft, sondern eine geplante und bis ins Detail lange vorher ausgearbeitete Tat – darin bestand, einige Videos gesehen zu haben, würden meine Lektoren vermutlich sagen, dass sie die Figur nicht sonderlich überzeugend fänden.“

Schließlich der Blick auf das Leben danach. Der Roman „Die satanischen Verse“ sei „zurück ins Narrativ des Skandals gezerrt“ worden, anstatt als Literatur wahrgenommen zu werden. Die geheime und bewachte Schutzzone, aus der sich sein Autor nach dem Umzug nach New York im Jahre 2000 gewagt hatte, gehört wieder zu seinem Alltag. Immerhin sei es diesmal anders, sagt er. Diesmal gebe es keine heimlichen Andeutungen, dass er selbst schuld sei an der Gefahrenlage. Vielmehr ist offenkundig, dass der Angriff uns allen gilt – allen, denen an einer freien und friedlichen Gesellschaft gelegen ist.

Das Versprechen des Autors  

Die Souveränität, mit der Salman Rushdie dieses Memoir gestaltet hat, ist außerordentlich. Er wütet nicht und er jammert nicht – und hätte doch zu beiden Reaktionen guten Grund. Sogar selbstironisch zeigt er sich, als er schildert, wie er sich in Eliza verliebt und gegen eine Glastüre rennt – „dämlicher geht`s nicht“. Sehr private Details werden angeführt, aber nicht aus Eitelkeit, sondern um die Dimension der Verletzung zu veranschaulichen. Offen schildert er die physischen, aber auch die psychischen Probleme.

Diese Probleme sind gewiss nicht gebannt. Aber Salman Rushdie zeigt sich stark und sortiert. Er bekräftigt, dass dort, wo die Religion politisch werde, sie ein „enormes Schadenspotenzial“ habe: „Im Privaten kann jeder glauben, was er will“, schreibt er. Jedoch: „In der rauen Welt der Politik und des öffentlichen Lebens darf keine Idee unangreifbar und gegen jede Kritik gefeit bleiben.“ Und was ist mit ihm? Er selbst hat sich ein Versprechen gegeben: „Ich werde mir von meinem Leben so viel wie nur möglich zurückholen, und das so rasch wie möglich.“

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir schon einige Beiträge über Salman Rushdie veröffentlicht – so HIER eine Rezension des Bandes „Sprachen der Wahrheit – Texte 2003 – 2020“.

Salman Rushdie: „Knife – Gedanken nach einem Mordversuch“, dt. von Bernhard Robben, Penguin, 256 Seiten, 25 Euro. E-Book: 21,99 Euro.

4 Gedanken zu “„Du bist es also“: Salman Rushdie schildert in „Knife“ seine „Gedanken nach einem Mordversuch“ – es ist ein Triumph

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..