Weit über 100 Museen gibt es in Paris. Wo soll man da beginnen? Natürlich im Louvre, wo jedem der drei Flügel mindestens ein Tag gewidmet werden könnte. Weiter zu den Impressionisten ins Musée d’Orsay, zur mittelalterlichen Kunst ins Musée de Cluny, zur Naturkunde ins überalterte „Musée national d’Histoire naturelle“, zum „Musée Rodin“, zur asiatischen Kunst ins „Musée Guimet“ und ganz allgemein zur außereuropäischen Kunst ins „Musée des arts et civilisations d’Afrique, d’Asie, d’Océanie et des Amériques“, besser bekannt als „Musée du Quai Branly“. Auf diese Schwergewichte gehen wir hier nicht ein. Stattdessen geht es um zehn Museen, von denen einige vielleicht nicht so bekannt sind und wo wir uns gerne umgeschaut haben.
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Römer, Buchhändler und das Bett von Marcel Proust
Das könnte ein guter Anfang sein. Das „Musée Carnavalet“ ist das Stadtmuseum von Paris. Eine abwechslungsreiche Revue von der vorrömischen Zeit bis in die jüngste Vergangenheit. „Je suis Charlie“, die Erinnerung an den Terror von 2015, ist ebenso vertreten wie es zwei Olympiafackeln der traumhaften Spiele von 2024 sind. Gleich die beiden ersten Räume machen gute Laune: Hier hängen historische Ladenschilder, die den Eindruck vermitteln, man ginge durch eine Gasse im alten Paris.
Ein Buchhandlungsschild ist auch darunter – als Blickfang dient ein roter Buchumschlag. Literaturfreunde können in diesem Museum des Öfteren aufmerken, bei den Voltaire-Statuetten, der Beaumarchais-Büste, dem La-Fontaine-Porträt und vielem mehr. Gewiss werden sie sich nicht das Arbeitszimmer von Gertrude Stein entgehen lassen und schon gar nicht den Raum in Erinnerung an Marcel Proust; er ist mit dem Mobiliar aus drei Pariser Wohnungen des Autors ausgestattet.
Derart reich und verwinkelt ist das Carnavalet, dass einem am Ende womöglich auffällt, gar nichts über die Revolution erfahren zu haben. Also noch einmal die Treppe hoch und zurück ins Jahr 1789 ff. Ein attraktives Museum. Und wie so sehr oft in Paris ist auch hier schon das Gebäude, ein Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert, eine Sehenswürdigkeit. (23 rue de Sévigné)

Pablo Picasso als Lyriker
Am ersten Sonntag im Monat ist freier Eintritt in vielen Museen – auch im „Musée Picasso“, dem größten Haus zu Ehren des Spaniers Pablo (Diego José Francisco de Paula Juan Nepomuceno María de los Remedios Cipriano de la Santísima Trinidad Ruiz) Picasso. Schon der barocke Bau, das Hôtel Salé im Marais, ist eine Pracht. Dann darin leuchten die vielen Zeugnisse einer immer wieder atemberaubend unbändigen Kreativität. Alles, was Pablo Picasso unter die Hände kam, konnte zur Kunst werden. Seinen berühmten Stier hat er aus einem Fahrradsattel und einem Fahrradlenker geformt, die er auf dem Weg zu einer Beerdigung im Sperrmüll gefunden hat.
Das Picasso-Museum ist beileibe kein Geheimtipp. Doch das kleine Kabinett, das dem Poeten gewidmet ist, mag manche überraschen. Der Lyriker in Picasso ist sicher eine seiner am wenigsten bekannten Personifizierungen. Zwischen 1935 und 1950 soll er 340 Gedichte geschrieben haben – angefangen mit „Si yo fuera afuera“. Viele Dichter und Dichterinnen gehörten zu seinem Freundeskreis: Gertrude Stein, Guillaume Apollinaire, Jean Cocteau, Michel Leiris. (5 rue de Thorigny)

Glaube, Verfolgung, Dichtung
Das „Musée d’art et d’histoire du Judaisme“ ist im Hôtel de St. Aignan untergebracht. Es deckt die Zeitspanne vom antiken Jerusalem bis zur Kunst der Gegenwart ab. Einen natürlichen Schwerpunkt bildet der jüdische Glaube in Synagoge und Alltag. Auch spielt die Verfolgung eine prominente Rolle. Schließlich gibt es manche Auskünfte zur Kunst von Jüdinnen und Juden. So wird das Werk der aus Breslau stammenden und in Paris gestorbenen Charlotte Henschel (1892-1985) als „kraftvoll, ausdrucksstark und tiefgründig“ gewürdigt. Zum Bestand des Hauses gehören neben Gemälden von Charlotte Henschel auch einige ihrer auf Deutsch verfassten Gedichte aus den 1960er Jahren. Diese hat sie kalligrafisch elaboriert auf Papier festgehalten: „Sonne sengt schwarz / blütene Blüte / Wind fächelt weich / begrabendes Sehnen (…)“.
Das Museum steht vor einer Erweiterung. Der Platz für die Dauerausstellung wächst um 35 Prozent, ebenso der für die Sonderausstellungen, wenn auch nicht gar so massiv. Das Museum wird aus diesem Grund 2028 schließen – und, das ist der Plan, im Frühling 2030 wieder öffnen. (71 rue du Temple)

Turmbau zu Babel im Petit Palais
Noch so ein Prachtbau, zudem mit freiem Eintritt: das „Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris“ im Petit Palais, zeitgleich mit dem gegenüberliegenden Grand Palais entstanden. Er bietet eine imposante Säulenhalle gleich zu Beginn, zudem herrlich gewundene Treppen mit ebenso herrlichem Schmiedewerk. Die Sammlung selbst ist angesichts der Alternativen kein Muss, aber bietet eine originelle Vielfalt von den Griechen bis zur Gegenwart. Es gibt Einzelwerke einiger Größen wie Rubens und Rodin, Cézanne und Courbet, auch ein Frauenporträt von Hans Cranach aus dem Jahr 1530, das bemitleidenswert in einer Ecke hängt.
Das wohl jüngste Werk stammt vom Künstler Seth (Jahrgang 1972): Sein „La Tour de Babel“ von 2018/2024 feiert die Bücher mit einem hohen Bücherstapel, der in einen psychodelisch oszillierenden Himmel mündet. Eine Feier der Imagination, die das Lesen bietet, soll dies sein. Er sagt dazu: „Les livres ouvrent des portes sur des mondes imaginaires. Ils sont un sortie de secours qui nous permet d’échapper auf quotidien.“ Mit anderen Worten: „Bücher öffnen Türen zu imaginären Welten. Sie sind ein Notausgang, der es uns ermöglicht, dem Alltag zu entfliehen.“ (Av. Winston Churchill)

Eiffelturm in Kunst und Realität
Das „Musée d’Art Moderne de la ville de Paris“, im Ostflügel des Palais de Tokyo untergebracht, verfügt über eine Sammlung von 15.000 Kunstwerken – vom Kubismus eines Georges Braque bis zur unmittelbaren Gegenwart, bis zu Bianco Bondis salziger Wohnraum-Installation „Silent House“ von 2025. Unterwegs trifft man dann noch auf Modigliani, Soutine, Picabia, Karel Appel, Lucio Fontana, Niki de Saint Phalle, Baselitz, Louise Bourgeois und vielen anderen.
Das Gebäude von 1937 ist auch perspektivisch verlockend. So kann, wer Robert Delaunays „Tour Eiffel“ aus dem Jahr 1926 betrachtet, durch die Fenster den Vergleich zum real existierenden Eiffelturm im Jahr 2025 anstellen. Noch eine gute Nachricht: der Eintritt zur Dauerausstellung ist frei. (11 Av. du Président Wilson)

Sonnenaufgang mit Monet
Über den Trocadéro hinaus geht es zum „Musée Marmottan Monet“ im noblen 16. Arrondissement, in unmittelbarer Nähe des Bois de Boulogne. Wohnkulturpracht, Kunst und Kunsthandwerk gehen zurück auf den Sammler Paul Marmottan. Angeblich befindet sich hier die weltgrößte Sammlung an Monet-Bildern, darunter das Sonnenaufgangs-Gemälde „Impression, Soleil levant“ von 1872, das den Impressionisten ihren Namen verschaffte. Außerdem imponieren die Werke von Berthe Morisot (1841-1895), zu deren Freundeskreis Claude Monet zählte.
Schließlich bietet das Marmottan noch die Buchmalerei der Sammlung Wildenstein. Allerdings ist das Arrangement hinter Glas nicht besucherfreundlich, weil sich vieles spiegelt und im Detail nur mühsam zu erfassen ist. Auch nimmt man diese Sammlung mit einiger Reserve zur Kenntnis, da es sich um 322 Einzelblätter handelt, denen der Buchkontext abhandengekommen ist. Wer mag, kann sich per Museums-App ein individuelles Album der Lieblingsbilder zusammenstellen und ausdrucken lassen. Im Garten gibt es ein Café. (2 rue Louis Boilly)

Foto: Bücheratlas / M. Oe.
Der Canyon in der Karavelle
Wo wir nun schon mal am Rand des Bois de Boulogne unterwegs sind, tauchen wir doch einmal in ihn ein. Ein paar Stationen mit dem Bus, dann zu Fuß weiter zu Frank Gehrys Architektur für die „Fondation Louis Vuitton“. Die ist sogar bei grauem Nieselregen ein Spektakel. Das Gebäude gleicht einer galaktischen Superkaravelle. Zwölf gläserne Dachsegel liegen bestens gebläht im Wind. Wasser schwappt um den Kiel.
Das gar nicht sofort erkennbare schneeweiße Zentrum der Anlage bildet ein Gehäuse, das der Architekt, der am 5. Dezember 2025 im Alter von 96 Jahren verstorben ist, als „Eisberg“ bezeichnet hat Von den Terrassen im dritten und vierten Stock sieht man den Eiffelturm, den Frank Gehry als „Leuchtturm“ versteht. Im Inneren des Gebäudes ist Kunst ein fester Bestandteil – unter anderem bringt Katharina Grosses vertikaler „Canyon“, der sich über mehrere Stockwerke erstreckt, viel Farbe ins Interieur.
Sehenswert ist all das auch ohne Ausstellung. Und wenn dann doch eine auf dem Programm steht, handelt es sich zumeist um eine Blockbuster-Nummer: zuletzt war David Hockney der Lockvogel, nun ist es Gerhard Richter – und das noch bis zum 2. März 2026. (8 Av. du Mahatma Gandhi)

Kleinod in Montparnasse
Eine Entdeckung, vielleicht sogar noch ein Geheimtipp im Viertel Montparnasse: das „Musée Zadkine“. Es ist untergebracht in dem ehemaligen Wohnhaus und Atelier des Bildhauers Ossip Zadkine (1888-1967) und seiner Ehefrau Valentine Prax (1897-1981), die ebenfalls als bildende Künstlerin tätig war. Das Museum, über einen Hofeingang in der Rue d’Assas 100 zu erreichen, besticht nicht nur mit vielen Werken, sondern auch mit dem stimmungsvollen Ambiente.
Zwischen Wohnhaus und Atelier liegt ein kleiner, ebenfalls mit Skulpturen bestens bestückter Garten. Darunter Darstellungen von Guillaume Apollinaire und den Brüdern Theo und Vincent van Gogh. Im Atelier selbst einige Alltagsutensilien des Künstlers: Brille, Werkzeug, Ziehharmonika. Anhand von Modellen und Bilddokumenten wird Ossip Zadkines Ringen um eine Skulptur des von ihm verehrten Vincent van Gogh anschaulich dargestellt. Er selbst sieht sich gepackt von einem „van goghschen Fieber“. Ein Kleinod ist dieses Museum, das bei freiem Eintritt zu genießen ist. (100 rue d’Assas)

Das Atelier von Alberto Giacometti
Nur einen kurzen Fußweg entfernt vom „Musée Zadkine“ befindet sich das „Institut Giacometti“. Das sehenswerte Art-Déco-Gebäude widmet sich hinter der blauen Eingangstüre – wen wundert’s – dem Schweizer Künstler Alberto Giacometti (1901-1966) gewidmet. Einige Originale des Schöpfers schmalgliedriger und hochgewachsener Gestalten sind zu sehen. Der Clou ist das im Erdgeschoss rekonstruierte Atelier, das sich ein paar Straßen weiter befunden hat. Pinsel und Spachtel, Bett und Zeitung liegen verstreut, als wäre der Künstler gerade mal kurz zum Bäcker gegangen.
Wechselausstellungen gibt es zudem. Als wird dort waren, wurde Giacomettis Freundschaft mit Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre gefeiert; den beiden sind wir gleich danach noch auf dem Friedhof Montparnasse begegnet, wo ihr gemeinsamer Grabstein von roten Herzchen einer aktiven Fangemeinde übersät ist. Die aktuelle Sonderausstellung des Instituts setzt das Werk von Giacometti und das des deutsch-syrischen Künstlers Marwan (1934-2016) in Beziehung. (5 Rue Victor Schoelcher)

Vom Kaufhaus ins Palais
Das „Musée Cognacq-Jay – Le Gout du XVIII“ widmet sich – wie der Untertitel nahelegt – der Kunst des 18. Jahrhunderts. Mit Gemälden von Tiepolo, François Boucher, Canaletto, zudem mit exquisitem Mobiliar. Dabei handelt es um die Sammlung des „Grands Magasins de la Samaritaine“-Gründers Ernest Cognacq und seiner Ehefrau Marie-Louise. Ursprünglich wurden die Kunstwerke gleich neben dem Kaufhaus auf dem Boulevard des Capucines ausgestellt. Nun schmücken sie das Hôtel Donon, das Médéric de Donon, Generalkontrolleur der königlichen Bauten, 1571 errichten ließ.
Der Besuch des Museums ist – angesichts der Alternativen in der Stadt – gewiss kein Muss, aber er erlaubt einen Blick in die Anlage eines attraktiven Gebäudes, dessen Ursprung im 16. Jahrhundert noch da und dort erkennbar sind. Womöglich reizt die eine oder den anderen auch die aktuelle Sonderausstellung; sie setzt die „Korrespondenzen“ der zeitgenössischen Künstlerin Agnès Thurnauer zu Kolleginnen und Kollegen des 18. Jahrhunderts. (8 rue Elzévir)
Martin Oehlen
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Auf diesem Blog
haben wir bereits drei Teile der Reihe „Merci Paris“ veröffentlicht:
- 1 Stadtrundfahrt mit dem Linienbus 30 von der Place Pigalle bis zur Place Balard (HIER);
- 2 Die Spur der Literatur führt von Victor Hugos Salon zur Buchhandlung im neunten Land (HIER);
- 3 Plätze (HIER).
Und weiter geht es – sechs Teile sollen es am Ende sein.