Noch bis zum 5. September wird der Gelbe Pavillon auf dem Kölner Neumarkt mit einem Kulturprogramm bespielt. Ein Schwerpunkt von „Nimm Platz“ ist das tägliche Literaturangebot, das von der Literaturszene Köln kuratiert wird. Schon einige Male haben wir darüber berichtet (die Links gibt es am Ende des Beitrags). Nun folgen Anmerkungen zu Lesungen vom Wochenanfang.
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Thomas Empl: „Nur einen Besucher weggelesen“
Der Schriftsteller als „Straßenmusiker“ – so kündigt sich Thomas Empl im Gelben Pavillon an. Was er damit meint: Das Publikum sei hier nicht eingeschlossen wie in einem Literaturhaus, sondern könne frei flaoten. Man dürfe also während der Lesung getrost aufbrechen, um bei Saturn einen Fernseher oder bei der Mayerschen ein Buch von Benedict Wells zu kaufen. In Wahrheit allerdings bleiben die Sitzreihen dicht besetzt. Als nach dem Vortrag der ersten Kurzgeschichte ein Besucher aufsteht, bemerkt der Autor: „Nur einen weggelesen – das ist eine gute Quote!“ Der Hinweis veranlasst den Davoneilenden, noch einmal zurückzukehren und alle möglichen Zeichen der Entschuldigung zu signalisieren.
Tatsächlich sind die beiden Geschichten, die Thomas Empl aus den Erzählbänden „Ausbruch“ (2021) und „Inneres Zittern“ (2023) ausgewählt hat, griffig und kurzweilig. Beide begleiten einsame Helden durch andere, wenn nicht gar fremde Zonen. Zunächst ist es die Welt der Gamer mit dem Schwerpunkt „Tetris“, einem Computerspiel, bei dem der Autor eigenen Angaben zufolge aktuell auf Platz 11 der Weltrangliste steht. Anschließend ist es das Inselreich Japan mit seinen ausgefuchsten Traditionslinien, das angeblich das beste Land überhaupt ist, sofern man nicht als Japaner dort lebe.
Handelt die Erzählung aus dem ersten Band von Abhängigkeiten und diejenige aus dem zweiten von Melancholie, so widmet sich die Novelle, die im kommenden Jahr (möglicherweise unter dem Titel „Die Paria-Hunde“) herauskommt, dem Glück. Das ist doch mal eine erfreuliche Entwicklung. All diese Werke erscheinen im Verlag parasitenpresse in Köln. Auch die Novelle, die auf einem Stipendiums-Aufenthalt im indischen Bangalore basiert.

Im Gespräch mit Verleger Adrian Kasnitz bekennt Thomas Empl, dass sein Schreiben stets mit einer Schreibblockade beginne. Dass dann zunächst der Ort auftauche. Dass sich daraus Stimmung und Geschichte entwickelten. Dass er eine „düstere, nicht schöne Jugend“ gehabt habe. Und dass er gerade deshalb die Empathie schätze – im Schreiben der anderen und vor allem in seinem eigenen.
Thomas Empl nutzt seinen Auftritt nicht zuletzt, um ein Loblied auf die Kölner Literaturszene zu singen. Er stimmt es gleich zweimal an. Zunächst versichert der gebürtige Münchner, was für ein „Geschenk“ es sei, in dieser „coolen und freundlichen“ Szene aufgenommen worden zu sein. Später legt er noch einmal nach mit dem Hinweis, was für ein angenehmer Zusammenhalt unter den Autorinnen und Autoren vorherrsche. Die Kolleginnen und Kollegen im Publikum quittieren dieses Votum, soweit wir das in diesem Moment beobachten konnten, mit einem zustimmenden Lächeln.
Da ist es dann auch kein Wunder mehr, dass der benachbarte Springbrunnen, der in den vergangenen Tagen eine Verschnaufpause eingelegt hatte, nun wieder munter sprudelt.
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Wolfgang Schiffer: Die dritte Frage sitzt
Was hat Wolfgang Schiffer in seinem literarischen Leben nicht schon alles gemacht! Als Hörfunk-Redakteur, als Übersetzer aus dem Isländischen, als Ratgeber, als Juror und als Autor von Hörspielen, Gedichten und Prosa aller Art. Nun stellte er auf dem Kölner Neumarkt vor, was er in jüngster Zeit veröffentlicht hat.
Die „Gespräche mit dem Enkel“ (2024), versehen mit Grafiken von Jón Thor Gíslason und erschienen in der Corvinus Presse, machen den Anfang. Tatsächlich, so sagt es Wolfgang Schiffer, stellen ihm seine Enkel keine Fragen. Jedenfalls nicht solche, die in diesem Buch auftauchen: „was Gedichte sind“, „ob ich an Gott glaube“, „was nach dem Tod geschieht“ oder „ob ich deine Oma liebe“. Aber wer weiß: Vielleicht lesen die Enkel ja die lebenspraktischen Antworten auf die Fragen, die sie bislang nicht gestellt haben.
Im Programm folgt nun der Lyrikband „Dass die Erde einen Buckel werfe“ (2022), der im Elif Verlag in Nettetal erschienen ist. Der Verleger (und preisgekrönte Schriftsteller-Kollege) Dincer Gücyeter sei – nach dessen eigenen Angaben – sechs Jahre lang auf Knien herumgerutscht, um ihm diese Gedichte abzuringen. Mit Erfolg. Ein schmaler, gleichwohl anrührender Band mit autobiographischen Skizzen, den wir auf diesem Blog HIER vorgestellt haben. Es sei im Kern eine Hommage an seine Eltern, denen es gelungen sei, ihre beiden Kinder unter nicht immer leichten Umständen zu erziehen, sagt Wolfgang Schiffer. Auch ist vom niederrheinischen Dialekt die Rede, den man ihm in der Schule „mit Lineal und Bambusstock“ habe austreiben wollen.

Schließlich noch einige Texte aus dem Gedichtband „Ich höre dem Regen zu“ (2024), der ebenfalls im Elif Verlag erschienen ist. Russlands Überfall auf die Ukraine prägen nicht wenige der Verse. Überhaupt keimen vor dem Hintergrund dieses Krieges die Zweifel, was man mit dem Schreiben noch ausrichten könne. Andererseits fragt sich das lyrische Ich in „Dilemma II“, „was anderes / wir haben als Worte, um den Menschen / mit sich und der Welt zu versöhnen.“ Also weiterschreiben, immer weiter.
Auch in diesem Band wird deutlich, dass es Wolfgang Schiffer allemal um Gedichte geht, die nahbar sind. Nichts gegen hermetische Gedichte! Das sagt er selbst ausdrücklich – als Leser. Aber als Autor bevorzuge er einen leichter zugänglichen Stil: „Ich versuche so zu schreiben, dass es jeder versteht.“
Dass Wolfgang Schiffer zudem um keine Anekdote verlegen ist, steht außer Frage. Ein paar hat er auch diesmal auf Lager. Die Geschichte mit der Geisha, die ihm während einer Preisverleihung in Japan die Getränke an die Lippen führte, ist nur eine davon.
Schön auch die Begegnung mit dem Literaturnobelpreisträger Halldor Laxness (1902-1998) in Island im Jahre 1982. Zum Interview waren die beiden verabredet. Doch zunächst einmal wurde gegessen und getrunken. Anschließend stand das Gespräch für den Hörfunk an. Doch Wolfgang Schiffers erste Frage interessierte den Großmeister nicht, und die Beantwortung der zweiten wollte er lieber der Leserschaft überlassen. Dann noch die dritte Frage, ob man sich lieber wieder zu Speis‘ und Trank zurückziehen sollte. Laxness erwiderte, dies sei „eine großartige Idee“. Drei Tage habe man danach zusammen verbracht.
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Und dann das Publikum: Mit Tusche und Feder


Claus Daniel Herrmann mit zwei Motiven von der Lesung mit Wolfgang Schiffer
Die Zuschauerplätze sind weiterhin gut gefüllt. Und die Fragen im Anschluss an jede Lesung erweisen sich als so vielfältig wie das Programm. Mal geht es um Philosophisches, mal um Pferde auf Island. Unter den Anwesenden finden sich immer wieder Kolleginnen und Kollegen; zuweilen gar erinnert die Besetzung, so beim Auftritt von Thomas Empl, an ein Klassentreffen.
Den Auftritt von Wolfgang Schiffer verfolgte auch Claus Daniel Herrmann. Er hatte bereits im Juli seinen Auftritt mit der Graphic Novel „Pinke Monster“ (HIER); zudem ist er der Initiative „Nimm Platz“ dadurch verbunden, dass er den Programm-Flyer gestaltet hat. Jetzt hielt er mit Tusche und Feder in seiner Kladde fest, was sich da vor seinen Augen abspielte: Den übers Buch gebeugten Autor ebenso wie einige amüsiert dreinblickende Besucherinnen. Ob daraus ein Comicband wird? Das wohl nicht, meint der „Eventzeichner“. Schade. Aber vielleicht, denken wir, schmücken die Skizzen ja den „Nimm Platz“-Flyer im nächsten Jahr.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir schon einige Male über die diesjährige „Nimm Platz“-Ausgabe berichtet. Hier mal die kurze Übersicht:
Vorbericht (HIER), Eröffnung und Lesung Ulrike Anna Bleier (HIER), Lesungen von Julius Metzger, Claus Daniel Herrmann, André Patten, Jan Schillmöller und Sehnaz Dost (HIER), Lesungen von Maren Gottschalk, Georg Smirnov, Anke Glasmacher und Thea Mantwill (HIER).
Die Bilanz, die Autorinnen und Autoren bei der Premiere von „Nimm Platz“ im Jahr 2023 gezogen haben, gibt es HIER.
Wolfgang Schiffers Gedichtband „Dass die Erde einen Buckel werfe“ haben wir HIER vorgestellt.
Lieber Martin,
lange nix voneinander gehört. Aber dir scheint es prächtig zu gehen!
Mir auch, denn ich habe heute mit Wolfgang eine Lesung in Meerbusch:
Lesung und Gespräch
Ulrich Faure liest aus Anjet Daanjes »Der erinnerte Soldat«
Donnerstag, 07.08.2025, 19:00 Uhr, Stadtbibliothek Meerbusch, Meerbusch
Im Rahmen des Kultursommers Meerbusch
Flandern 1922. Noen Merckem hat infolge seiner Erlebnisse als Soldat im
Krieg sein Gedächtnis verloren und lebt in einer Einrichtung für
psychisch Kranke. Dort taucht eines Tages eine Frau aus Kortrijk auf.
Julienne glaubt, in ihm ihren verschollenen Ehemann, den Fotografen
Amand Coppens, zu erkennen und nimmt ihn gegen ärztlichen Rat mit nach
Hause. Die Rückkehr gestaltet sich schwierig, doch allmählich nähern
sich die beiden an. Amand versucht, sich in sein neues Leben
einzufinden, doch ihn plagen Alpträume von seinen Kriegsgräueltaten.
Julienne erzählt ihm von ihrer gemeinsamen Vergangenheit – nur wie kann
er sicher sein, dass sie die Wahrheit sagt?
/“psychologisch abgründig und keine Seite zu lang.” – SWR/
Über die Autorin: Anjet Daanje, 1965 in Wijster geboren, studierte
Mathematik an der Universität Utrecht. Sie schreibt Romane,
Kurzgeschichten und Drehbücher. Die Filme, für die sie das Skript
verfasste, wurden mit insgesamt 17 internationalen Filmpreisen
ausgezeichnet, darunter ein Goldener Bär. Daanje erhielt zahlreiche
Literaturstipendien und -preise./Der erinnerte Soldat/stand auf der
Longlist des Libris Literatuurprijs und gewann den F. Bordewijk-prijs.
*Über die Veranstaltung: *Der deutsche Übersetzer Ulrich Faure erzählt
über den Roman und seine Arbeit, Wolfgang Schiffer trägt dabei
ausgewählte Lesestellen vor. Die Autorin selbst ist nicht präsent.
Stadtbibliothek Meerbusch
Dr.-Franz-Schütz-Platz 5
40667 Meerbusch
Gruß, Ulli
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Hab‘ herzlichen Dank, lieber Martin!
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Das war ein prima Auftritt – drei Bücher in einem Rutsch!
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Lieber Herr Schiffer,
nachträglich würde ich gern die Lehrer mit den brutalen Erziehungsmethoden verprügeln…ich denke darüber nach und habe doch durch einen dummen Dorfschullehrer Ähnliches erlitten!
Freundliche zugetane Grüße von Frau Wildgans
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