So kam die Dummheit in die Welt: Christoph Martin Wielands vergnügliche „Geschichte der Abderiten“ erstrahlt im neuen Glanz

Esel ohne Schatten Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Die „Geschichte der Abderiten“ hat nun wirklich schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Christoph Martin Wieland (1733-1813) veröffentlichte den Roman zunächst zwischen 1774 und 1780 in Fortsetzungen in seiner Literaturzeitschrift „Der Teutsche Merkur“. Doch das satirische Werk wirkt alles andere als verstaubt. Das kann man nun der historisch-kritischen Aufbereitung entnehmen, die in der Oßmannstedter Ausgabe von Wielands Werken (WOA) erscheint.

Der Erzähler schickt seinen fünf Büchern – jetzt „orthographie- und interpunktionsgetreu dargeboten“ in der Fassung von 1796 – eine Warnung voraus. „Verhüte der Himmel, daß man euch zumuthen sollte die Abderiten zu lesen, wenn ihr gerade was nöthigeres zu thun oder was besseres zu lesen habt!“ Denn „beschäftigte Leser“ seien selten „gute Leser“. Mal gefalle ihnen alles, mal nichts. Daher gelte: „Wer mit Vergnügen und Nutzen lesen will, muss gerade sonst nichts andres zu thun noch zu denken haben.“

Reden ohne nachzudenken

Wer sich unter diesen Voraussetzungen ans Werk macht, kann auf eine vergnügliche Lektüre bauen. Denn Christoph Martin Wieland zündet ein Feuerwerk der Komik: Abdera in Thrakien, dessen Ruinen sich heutzutage im Osten Griechenlands befinden, ist das Schilda der Antike. Die Abderiten, deren Dummheit einst sprichwörtlich war, waren nämlich für jeden Unsinn zu haben. Natürlich nicht freiwillig. Sie konnten nicht anders.

Das fing schon damit an, dass sie selten den Mund auftaten, ohne etwas Albernes zu sagen: „Sie sprachen viel, aber immer ohne sich einen Augenblick zu bedenken was sie sagen wollten, oder wie sie es sagen wollten.“ Vernunft und Toleranz waren ihnen fremd. Sie inszenierten eine Tragödie als Komödie und vergassen beim Brunnenbau das Wasser. Sie setzten voraus, dass weltweit allein das als schön anzusehen war, was man in Abdera für schön hielt. Und wenn dann einer mit Grips im Kopf vorbeischaute, wie beispielsweise der Philosoph Demokrit, dann hieß es bald: „ein Scharlatan, ein Windbeutel“.  

Der Schatten des Esels

Vortrefflich ist dann im vierten Buch der hübsch eskalierende Streit um des Esels Schatten. Es ist eine Frage an die Jurisprudenz: Hatte der Mieter eines Esels – gebucht war nur eine Tagesreise – auch Anspruch auf des Esels Schatten, um sich darin zwischendurch und kostenlos eine Pause zu gönnen? Nicht minder erbaulich ist das Ende von Abdera. Auslöser war ausgerechnet die Schutzgöttin Latona, die schon mal einige Bauern in Frösche verwandelt hat.  Eines Tages kommt nun in Abdera die Mode auf, die Frösche zu würdigen. Bald legte sich ein jeder einen Tümpel an, um seinen Beitrag zum Kult zu leisten. Ja, wer keine Froschgrube besaß, galt gar als „Verräther am Vaterlande“.

Darüber versumpfte die Stadt. Angesichts der ökologischen Katastrophe sahen sich die Abderiten zur Auswanderung genötigt. So gelangte die Narrheit in alle Welt, könnte man sagen. Herausgeber Jan Philipp Reemtsma fasst den Punkt genauer. Er betont im Nachwort, dass es dem Aufklärer Wieland nicht um die „menschliche Dummheit“ gegangen sei, sondern um den „Mangel an Urteilskraft“.

„Zyniker des Machtspiels“

Die Anlässe, einen solchen Mangel zu beklagen, sind nicht weniger geworden. Jan Philipp Reemtsma lenkt den Blick auf die Politik: „Manche Politiker, die die demokratische Verfasstheit eines Gemeinwesens zerstören wollen, loben sich als die wahren Demokraten aus. Manche sind Zyniker des Machtspiels und freuen sich an der Frechheit ihrer Parolen, manche glauben an sie, weil sie meinen, Demokratie sei, wenn sie (als Repräsentanten des ‚wahren Volks‘) das Sagen hätten.“

Tatsächlich! Mit Blick auf die Weltlage drängt sich da und dort die Frage auf, ob die Gewählten und zumal ihre Wähler noch alle Tassen im Schrank haben. Die Aufklärung hat es mal wieder schwer auf Erden.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

haben wir schon einige Male auf Christoph Martin Wieland verweisen können. Zuletzt haben wir den Roman „Geschichte des Agathon“ (HIER) vorgestellt, der ebenfalls in der Oßmannstedter Studienausgabe erschienen ist und als erster deutschsprachiger Roman der Moderne gilt. Zuvor ging es um Jan Phillipp Reemtsmas große Biografie „Christoph Martin Wieland – Die Erfindung der modernen deutschen Literatur“ (HIER). Auch haben wir die „Wieland!“-Ausstellung (HIER) in Weimar besucht.  

Christoph Martin Wieland: „Geschichte der Abderiten“, hrsg. von Hans-Peter Nowitzki und Jan Philipp Reemtsma, Wallstein Verlag, 480 Seiten, 42 Euro.

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