Früher ein Superstar, heute fast vergessen: Ausstellung „Wieland!“ erinnert an den Schriftsteller und Übersetzer, der vor 250 Jahren das „klassische Weimar“ begründete

Raumgestaltung im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar: Die Vorlage für das Wieland-Porträt ist eine aquarellierte Federzeichnung von A. E. Stark aus dem Jahre 1806. Foto: Bücheratlas

Eine glückliche Hand – die hatte die verwitwete Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739-1807) gewiss, als sie im Jahre 1772 den damals schon renommierten Schriftsteller Christoph Martin Wieland (1733-1813) zum Erzieher ihrer Söhne Carl August und Constantin berief. Glücklich vor allem für Weimar und das kulturelle Deutschland. Denn mit Wielands Umzug in die Stadt an der Ilm begann, vor nunmehr 250 Jahren, „das klassische Weimar“. Auf Wieland folgten viele helle Köpfe, auch Johann Wolfgang Goethe, dessen Person wie keine andere mit Weimar verbunden ist.

Napoleon nannte ihn „den deutschen Voltaire“

Im Jubiläumsjahr wird an die Weimarer Erweckung durch Christoph Martin Wieland erinnert. Aktuell präsentiert das Goethe- und Schiller-Archiv „Wieland! Weltgeist in Weimar“. Es ist eine kleine, aber fein pointierte Ausstellung, die neugierig macht auf den Dichter, Pädagogen, Librettisten, Märchenerzähler, Publizisten, Übersetzer, Briefschreiber, Hofdichter und Kultur-Vermittler. Der Aufklärer, dessen Werke heute kaum noch bekannt sind oder gar gelesen werden, war einst eine literarische Lichtgestalt. Napoleon nannte ihn „den deutschen Voltaire“.

Die Archiv-Präsentation der „Klassik Stiftung Weimar“ ist noch nicht der Höhepunkt des Jubiläumsjahres. Der wird am 3. September mit der Wiedereröffnung des Wieland-Museums in Gut Oßmannstedt erwartet. Im Ländlichen, rund zehn Kilometer von Weimar entfernt, hatte Wieland Abstand vom Hofleben gesucht. Goethe fand’s dort nicht so toll. Er schrieb nach einem Besuch im Juni 1797 an Schiller, dass Wieland jetzt „in der traurigsten Gegend der Welt“ lebe. Tatsächlich blieb Wieland nur sechs Jahre dort. Das lag aber daran, dass seine Gutswirtschaft nicht florierte. Er musste sein „Osmantinum“ verkaufen, immerhin mit leichtem Gewinn.

„Der erste Schriftsteller Deutschlands“

Die künftige Dauerausstellung wird den Titel „Der erste Schriftsteller Deutschlands“ tragen. Er zielt darauf ab, dass Wieland mit seinen Schriften den Lebensunterhalt für die Familie sichern konnte – für sich, seine Frau und seine 14 Kinder, von denen neun die Kindheit überlebten, für Personal und Langzeit-Gäste wie Sophie de la Roche oder Heinrich von Kleist. Einzigartig ist die Ausgabe seiner „Sämtlichen Werke letzter Hand“, die seit 1794 im Leipziger Verlag Georg Joachim Göschen in vier Fassungen angeboten wurde: Als „wohlfeile“ Ausgabe für die „unbemittelten Menschen“, als Klein- und Großoktavausgabe für gehobene Ansprüche und als exklusive Prachtausgabe für den Adel.

Auch davon ist im ersten Stock des Goethe- und Schiller-Archivs in Weimar die Rede. Dort warten die Vitrinen im weißen Saal darauf, dass man sie von ihrem Lichtschutz befreit und die Schätze unter Glas genießt. Vom detaillierten Stundenplan für die Prinzen bis zum Freimaurerhandschuh der Weimarer Loge „Anna Amalia zu den drei Rosen“.

Stundenplan für die Prinzen: Mit Pfeilen markiert sind die Stunden, an denen Christoph Martin Wieland unter anderem Philosophie unterrichtete. Die frühen und die späten Termine überließ Wieland seinen Kollegen. Foto: Bücheratlas

„Er hört zu sehr auf die Schmeichler“

Die kleine Kabinett-Ausstellung weckt Neugier, aber muss selbstredend viele Aspekte unberücksichtigt lassen. So bleibt – beispielsweise – offen, wie er denn als Privatmann so war, der „Patriarch von Weimar“. Friedrich Schiller schrieb nach seinem ersten Besuch: „Sehr gerne hört er sich sprechen.“ Und Herzogin Anna Amalia befand in einer differenzierten Psychoskizze: „so sehr er durch seine Schriften gezeigt hat, dass er das menschliche Herz im Allgemeinen kennt, so wenig kennt er das einzelne Herz und die Individuen; er hört zu sehr auf die Schmeichler und überlässt sich ihnen“. Aber dazu und zu anderem mehr wird sicher einiges in der Dauerausstellung geboten werden. Insofern ist der Auftritt im Goethe- und Schiller-Archiv ein sehr feiner Appetizer.

Auf der Kurzstrecke ist ein durch und durch moderner Kopf zu entdecken. „Philosophie war für ihn keine theoretische Wissenschaft,“ lesen wir in dem von Kurator Johannes Korngiebel und Projektleiterin Sabine Schimma herausgegebenen Begleitheftchen, „sondern Heilkunst der Seele und Lebensweisheit.“ Dabei habe er das Ideal eines vorurteilsfreien, gleichberechtigten Diskurses“ angestrebt. „Lebenslanges Lernen, transkulturelle Verständigung und eine offene Diskussionskultur“ seien ihm zentrale Anliegen gewesen. Was will man mehr?

„Spießbürger“ und „Liebeswut“ sind ihm zu verdanken

Wieland begründete die Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“ nach dem Vorbild des „Mercure de France“, veröffentlichte mit seiner „Geschichte des Agathon“ den ersten deutschen Bildungsroman, schrieb mit „Alceste“ einen der ersten Operntexte in deutscher Sprache, machte sich stark für die lateinische Antiqua-Schrift und plädierte damit gegen die dominante Fraktur-Schrift: „Ich kann mich nicht genug an der reinen Schönheit dieser Lettern ergötzen.“ Allerdings war das breite Publikum, darunter auch Goethes Mutter, anderer Ansicht. Zur Hebung des Verkaufs mussten die „Sämtlichen Werke“ vom Schrifttypus der Antiqua zurück zu dem der Fraktur switchen.

Freimaurerhandschuh, der mutmaßlich Wieland gehört hat. Der Dichter trat der Loge „Anna Amalie zu den drei Rosen“ erst im Alter von 76 Jahren bei und forderte Vernunft statt Esoterik. Foto: Bücheratlas

Christoph Martin Wieland war überdies ein emsiger Übersetzer aus vielen Sprachen, noch kurz vor seinem Tode befasst mit der Übersetzung von Ciceros Briefen. Literaturgeschichtlich bedeutsam ist, dass er als Erster William Shakespeares Dramen ins Deutsche übertrug. 22 an der Zahl. Dabei kreierte er so grandiose Neuwörter wie „Spießbürger“, „Milchmädchen“, „Liebeswut“, „Steckenpferd“, „Feenland“, „Schafsgesicht“ und „Gelegenheitshascher“.

Die Erinnerung an Shakespeares Werk soll ihn sogar auf seinem Totenbett begleitet haben. Ungewiss ist der genaue Wortlaut. Darum entscheiden wir uns für die schönste Variante. Laut der Enkelin Wilhelmine Schorcht hat der 79 Jahre alte Wieland zu seinem Arzt gesagt: „Sein oder Nichtsein, das ist mir jetzt so ziemlich egal.“

Martin Oehlen

Die Ausstellung

im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, Jenaer Straße 1, wurde im Rahmen eines Kooperationsprojekts des Archivs mit Studierenden der Universität Heidelberg erarbeitet. Geöffnet: Mo.-Fr. 10-18 Uhr und Sa./So. 11-16 Uhr, bis 14. August 2022. Eintritt frei.

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