Das Prachtstück der Kölner Dombibliothek: Blick in den Hillinus-Codex, der zur großen Welterbe-Ausstellung rund um die Klosterinsel Reichenau reisen wird 

Hillinus übergibt das Evangeliar, das er finanziert hat, an Petrus. Am oberen Bildrand der Alte Kölner Dom, am Fuß der Abbildung der Kachelboden, wie er archäologisch nachgewiesen werden konnte. Foto: Bücheratlas

Der Domherr Hillinus, so sagt man, hatte einen Traum: Er wollte im 11. Jahrhundert Erzbischof von Köln werden. Aber diesen Posten bekommt man ja nicht, nur weil man ihn gerne hätte. Man muss auch etwas dafür tun. Also machte Hillinus beträchtliche Mittel locker, um ein Evangeliar anfertigen zu lassen, das im mittelalterlichen Köln Eindruck machen sollte. Das ist ihm zweifellos gelungen. Selbst 1000 Jahre später imponiert der Codex ungemein und gilt als ein Spitzenprodukt der mittelalterlichen Buchmalerei. Dennoch ist Hillinus kein Erzbischof geworden. Ja, sein Name ist der Nachwelt nur bekannt als Stifter dieses Evangeliars.

Hotspot der Buchmalerei

Der Prachtcodex aus der Kölner Dombibliothek ist ein zentrales Exponat der Ausstellung „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“, die das Badische Landesmuseum (Karlsruhe) am 20. April in Konstanz und auf der nahegelegenen Insel Reichenau eröffnen wird. Die Benediktinerabtei war im 10. und 11. Jahrhundert ein Hotspot des Reiches. Nicht zuletzt das Skriptorium galt als erste Adresse. Seit dem Jahr 2000 gehört die Klosterinsel zum Weltkulturerbe der Unesco, und seit 2003 zählen einige Reichenauer Handschriften zum Weltdokumentenerbe.

Die „berühmteste“ Handschrift der Dombibliothek – so wird sie auf der Homepage genannt – war zuletzt vor 25 Jahren in einer Ausstellung zu sehen Das ist lange her. Der Codex mit der laufenden Nummer 12 meidet nur zu gerne die Öffentlichkeit, denn er ist ein sensibler Schatz. Auch in Konstanz wird er nicht durchgehend, sondern erst ab Juli zu bestaunen sein. Aus konservatorischen Gründen. Denn jeder Lichteinfall, mag er auch noch so gering sein, wirkt auf die Leuchtkraft der Malerei ein; und sobald das Buch aufgeschlagen ist, belastet dies den Buchrücken.

„Du, geliebter Leser, erbarme dich unser“

Nun hatte Marcus Stark, Direktor der Erzbischöflichen Diözesan- und Dombibliothek, schon einmal zu einer kleinen Preview eingeladen. Harald Horst, der für Handschriften und frühe Drucke zuständige Referent, zog die weißen Handschuhe an und blätterte mit spitzen Fingern durch die 211 Pergamentseiten. Dabei gab er jede Menge feiner Hinweise. Jüngsten Forschungen zufolge, so sagte er, ist der Codex nicht vor 1025 entstanden. Bislang ging man davon aus, dass sich die Mönche Purchardus (Burkhard) und Chuonradus (Konrad) bereits zwischen 1010 und 1020 ans Werk gemacht hatten.

Sie selbst melden sich gleich zu Beginn des Evangeliars zu Wort. In goldenen Großbuchstaben. Die Übersetzung aus dem Lateinischen lautet: „Durch das Bitten und die Wertschätzung des Kölner Domherrn Hillinus, wurden wir zwei, Purchardus und Chuonradus, nicht nur im Geiste, sondern auch vom Fleische her leibliche Brüder, aufgefordert und gezwungen. Wir haben den Auftrag erhalten, das vorliegende Buch zu schreiben und auf dem Hauptaltar des heiligen Petrus, der innerhalb der Mauern Kölns errichtet worden ist, in treuer Ergebenheit niederzulegen. Weil wir freilich wissen, dass der Lohn des Stifters sicher ist, erhoffen auch wir uns durch die Beschaffenheit der Verdienste Gnade. Du, geliebter Leser, erbarme dich zugleich unser.“

Mobile Mönche im Mittelalter

Der Schreiber Chuonradus stammte vermutlich aus dem Kloster Seeon, gelegen zwischen München und Salzburg. Denn seine Buchstaben sind offen und lang und nicht so gedrungen, wie es im Kloster Reichenau üblich war. Hingegen ist der Maler Purchardus eindeutig der Reichenau zuzuordnen. Dies allein schon wegen der markanten, für das dortige Skriptorium typischen Architekturbögen auf den Bildern.

Das Duo hat aller Wahrscheinlichkeit nach die lange Reise aus dem Süden nach Köln angetreten, um hier die lukrative Auftragsarbeit zu erfüllen. Marvin Gedijk, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Badischen Landesmuseums, wertete dies bei der Präsentation als ein starkes Zeichen für die Mobilität der Benediktiner-Mönche.

Älteste Darstellung des Alten Doms

Bei ihrem Köln-Aufenthalt haben Purchardus und Chuonradus ein paar lokale Aspekte berücksichtigt. Davon zeugt vor allem das Widmungsbild. Es zeigt den Domherrn Hillinus bei der Überreichung des Codex an den heiligen Petrus, den Schutzpatron des Doms. Der Clou: dieser Alte Dom ist am oberen Rand der Dedikation abgebildet. Ein für die ottonische Zeit völlig ungewöhnliches Architektur-Dokument – und zugleich die älteste Darstellung des sogenannten Hildebold-Doms.

Nicht nur ist der romanische Vorgänger des gotischen Doms unserer Tage in seiner ganzen Weitläufigkeit zu sehen. Auch ragen im Hintergrund Türme der damals noch erhaltenen römischen Stadtmauer auf. Am rechten Bildband lugt der Bischofspalast hervor. Und am Fuße der Seite ist ein rautenförmig gekachelter Fußboden zu erkennen, wie er dann bei archäologischen Ausgrabungen für den Alten Dom tatsächlich nachgewiesen werden konnte.

Das Schielen des Hieronymus

Auch die Würdigung des Heiligen Hieronymus (um 348-420) ist eine Referenz an Köln. Am Rhein nämlich schätzte man den Kirchenvater wegen der Vulgata, der lateinischen Übersetzung der Bibel. Dass der Heilige in diesem Evangeliar heftig schielt, deutet auf eine Stresssituation hin: Das eine Auge richtet er auf einen Schreiber, dessen Text er gleichzeitig korrigiert, und das andere auf einen Schüler, der mit dem Griffel eine Wachstafel bearbeitet.

Es ist ein Motiv mit allerlei Hinweisen für Kulturwissenschaftler. Nicht nur können sie sich an den Schreibwerkzeugen erfreuen, sondern auch an den Bibliothekskästen zu Füßen des Hieronymus, in denen Pergamentrollen wie in spätantiker Zeit aufbewahrt werden.   

„Dat willste nich jemaach han“

Der Zustand des Hillinus-Codex gilt als „top“. Die seitenfüllenden Bilder leuchten noch heute so intensiv, als wären ihre Farben gerade erst aufgetragen worden. Selbst der Grund aus Blattgold ist durchgehend erhalten. Vom Wasserschaden aus alter Zeit, der den Seiten am unteren Rand zugesetzt hat, blieben Schrift und Bild verschont.

Gleichwohl war die Rettungsarbeit eine Herausforderung. Restaurator Bernd Schäfers erinnert sich, dass sein Vorgänger Johannes Sievers einen Monat lang Fasern aus Pergament und Papier mischte, ehe er den bestmöglichen Brei gefunden hatte. Mit der Ausbesserung der Seitenränder war Sievers, der auch als Mundartautor bekannt war, zufrieden. Allerdings ließ er seine Kollegen wissen: „Dat willste nich jemaach han.“

Sololauf von Matthäus

Ein paar Federn hat der Codex im Laufe der Jahrhunderte lassen müssen. Jedenfalls fehlen die Bildtafeln zu drei der vier Evangelisten. Offenbar wurden sie sorgfältig herausgeschnitten. Harald Horst, der Hüter des Codex, tippt auf die Schnittstellen. Nur Matthäus ist vom Raub verschont geblieben. Wann der Frevel geschehen sein könnte, ist allerdings unbekannt.

Womöglich ist dies der Grund dafür, dass der Codex – anders als vergleichbare Codices aus Reichenau – nicht zum Weltdokumentenerbe der Unesco gehören. Vielleicht ist es aber auch so, wie bei der Präsentation vermutet wurde, dass das Hillinus-Evangeliar einfach übersehen worden ist. Das freilich wird in der Konstanzer Ausstellung nicht passieren. Denn dieser Schatz ist nicht zu übersehen.

Martin Oehlen

Das Limburger Evangeliar

Noch ein zweiter Codex tritt die Reise von Köln nach Konstanz an: das Limburger Evangeliar (Cod. 218). Bei diesem kostbaren Werk, um 1024/25 auf der Klosterinsel Reichenau entstanden, handelt es sich nicht um eine Auftragsarbeit. Vielmehr agierten die Mönche, so sagt es Marvin Gedijk, nach dem Motto: „Der Bedarf ist so groß, das werden wir schon los.“

Als die Schrift dann im Kloster Limburg angekommen war, wurde sie im 12. Jahrhundert noch um eine Warnung ergänzt: Gottes Strafe drohe jedem, der den Codex aus dem Kloster Limburg entwenden sollte. Dennoch fand das Evangeliar den Weg nach St. Heribert in Deutz, gelangte dann in die Hände einer Privatperson und wurde schließlich dem Domkapitel geschenkt.

Zur Ausstellung

Das Archäologische Landesmuseum Baden-Württemberg in Konstanz und die Insel Reichenau sind vom 20. April bis 20. Oktober 2024 die Schauplätze der baden-württembergischen Landesausstellung „Welterbe des Mittelalters – 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“, die vom Badischen Landesmuseum ausgerichtet wird.

http://www.ausstellung-reichenau.de

2 Gedanken zu “Das Prachtstück der Kölner Dombibliothek: Blick in den Hillinus-Codex, der zur großen Welterbe-Ausstellung rund um die Klosterinsel Reichenau reisen wird 

  1. Es ist ein großes Vergnügen beim Frühstücken den Bücheratlas zu lesen! Und dieser Artikel ist wieder ein Filetstückchen. Danke !

    Morgengrüße, Dea Bohde

    P.S. Sollte eigentlich als Kommentar im Blog stehen, aber – sorry- ich kriege das nicht so hin mit dem Prozedere ……

    >

    Gefällt 2 Personen

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..