
Vor zehn Jahren hat sich Michael Krüger als Verleger des Hanser-Verlags verabschiedet. Nun legt der Schriftsteller, der am 9. Dezember 80 Jahre alt wird, einen Band mit autobiographischen Texten vor. Diese kommen als Gedicht, Essay, Erzählung, Porträt und Memoir daher. Sie blicken auf Kindheit und Jugend, auf Begegnungen mit Autorinnen und Autoren, auf Dichtung und Wahrheit.
Michael Krügers „Verabredung mit Dichtern“ ist eine Einladung an Literaturfreunde. Dabei handelt es sich nicht durchweg um Originaltexte, sondern auch um solche, die an anderer Stelle schon einmal zu lesen waren. Darunter auch der längste, nämlich 100 Seiten starke Rückblick auf die Berliner Nachkriegskindheit zwischen Nikolassee, Schlachtensee und Wannsee; der Beitrag ist in der Edition 5plus erschienen und wurde auf diesem Blog HIER vorgestellt).
Ärger und Intrigen
Wie sehr sich Michael Krüger seinen Biss bewahrt hat, macht das Vorwort deutlich. Da lässt er Dampf ab. Dass ihm der Aufsichtsrat des Hanser Verlags beim Ausscheiden nicht wenigstens einen „Katzentisch“ im Hause angeboten habe, um der einen oder anderen Tätigkeit noch weiter nachgehen zu können, ist ihm ein paar spitze Zeilen wert. Das sei, schreibt er, „zu meiner Zeit noch selbstverständlich“ gewesen. So habe sein Vorgänger Fritz Arnold bis weit über 80 einen Arbeitsplatz im Verlag gehabt. Mittags habe er dort immer die „Abendzeitung“ gelesen.
Auch die Bayerische Akademie der Schönen Künste, deren Präsident Michael Krüger war, bekommt ihr Fett ab. Ein drittes Mal habe er – „obwohl mich fast alle der Kollegen dazu ermunterten“ – nicht für das Amt kandidieren wollen. Denn es habe eben auch ein paar Mitglieder gegeben, „die sich neben ihrer Kompositionsarbeit vornehmlich dem Aufbau von Intrigen widmen oder neben Romanen noch durch Artikel auffallen möchten, in denen sie dafür eintreten, Interna der Akademie-Sitzungen ausplaudern zu dürfen.“
Gute Literatur und Gesinnung
Abgerundet wird der Band von einem Gespräch, das Michael Krüger mit Knud Cordsen geführt hat. Da geht es einmal quer durchs verlegerische Allerlei. So verrät Michael Krüger, dass er Walter Kempowski – der sich „für den unmittelbaren Nachfolger von Goethe“ gehalten habe – den Buchtitel „Tadellöser & Wolff“ empfohlen hatte. Er erinnert sich an Marcel Reich-Ranicki, der ihn einmal derart fest umarmt habe, dass er fast erstickt sei. Gedrückt habe der Kritiker den Verleger dafür, „dass ich seine Frau Tosia gebeten habe, für uns eine Ausgabe von Erich Kästner herauszugeben.“ Oder er spricht das Dilemma ab, zwischen zwei zeitgleichen und besonderen Terminen abwägen zu müssen – der Beerdigung von Hans Magnus Enzensberger und dem 80. Geburtstag von Peter Handke. (Achtung, Spoiler: er hat sich für die „Seite der Lebenden“ entschieden.)
Neben den vielen Anekdoten gibt es auch Grundsätzliches. Dazu zählt der Hinweis: „Gute Literatur hat nur bedingt mit richtiger Gesinnung zu tun.“ (Aber das habe ich mir wohl nur deshalb angestrichen, weil ich gerade Louis-Ferdinand Célines „Krieg“ gelesen habe.)
Liebeserklärungen zuhauf
Zwischendrin, also zwischen Vorwort und Gespräch, entwickelt sich ein schöner Wirbel. Denn Michael Krüger kennt sie doch fast alle, die in der Literatur eine Rolle haben oder hatten. So würdigt er altvertraute Einzelpersonen: Reinhard Lettau, Walter Höllerer, Klaus Wagenbach. Und er streift durch literarische Regionen: Italien und Schweden, die Niederlande und die USA, Polen und Israel (und dort mit besonderer Berücksichtigung der jiddischen Literatur). Das ist keine akademische Analyse, sondern eine leidenschaftliche Liebeserklärung an die Dichtung – eine nach der anderen. Gespickt sind die literarischen Einlassungen mit zahllosen Anekdoten. Heiteren und traurigen Anekdoten wie die von den zuckenden Augenbrauen des Czeslaw Milosz oder jene vom totkranken Bruce Chatwin im Hofbräuhaus.
Worauf Michael Krüger selbst aufmerksam macht: Es fehlt vieles in dieser Sammlung. Nicht zuletzt die deutschsprachige Szene. Aber es passt eben nicht alles hinein. Und mal sehen, was da noch kommen wird. Ein paar Pläne gibt es immerhin. Dazu zählt auch, einmal über das „unerhört konzentrierte Werk“ von Botho Strauß zu schreiben: „Vielleicht in zwanzig Jahren, wenn sich keiner mehr für Literatur interessiert.“
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir Michael Krügers „Das Strandbad – Szenen einer Kindheit“ HIER vorgestellt.
Lesung mit Michael Krüger
am 27. 11. im Literaturhaus Düsseldorf, 28. 11. in Köln (Veranstalter: Buchhandlung Bittner), 29. 11. in Bonn (Veranstalter: Buchhandlung Böttger), 6.12. in Berlin (mit Simon Strauß, Veranstalter: Buchhandlung Knesebeck Elf), 12. 1.2 Gauting (Veranstalter: Buchhandlung Kirchheim), 13. 12. Literaturhaus Stuttgart, 17. 12. Literaturhaus München (Gespräch mit Knud Cordsen). Weitere Termine folgen 2024.
Michael Krüger: „Verabredung mit Dichtern – Erinnerungen und Begegnungen“, Suhrkamp, 448 Seiten, 30 Euro. E-Book: 25,99 Euro.

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…war eine der happy few bei der Lesung in Knesebeck 11
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👍👍👍
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