Monika Helfers Roman „Die Jungfrau“: Schulfreundin Gloria lüftet ihr Geheimnis im Alter

Arbeit am Bild einer Frau Foto: Bücheratlas

Eine Lebenserzählung in mehreren Lieferungen – damit versorgt Monika Helfer ihre Leserschaft seit einigen Jahren. Nach der Großmutter und der Mutter, dem Vater und dem Bruder widmet sie sich nun in einem weiteren Roman ihrer Schulfreundin: „Gloria war immer eine gewesen, die meine Einbildungskraft anzündete, zu schönen Bildern und zu weniger schönen.“

„Ich habe noch nie“

Eine Nachricht von Glorias Nichte, von der die Erzählerin an ihrem 70. Geburtstag überrascht und die von ihr „wie ein Befehl“ empfunden wird, bringt die Erinnerungsmühle in Bewegung: „Ihre Tante habe ihr aufgetragen, mit mir in Verbindung zu treten. Sie wolle mich noch einmal sehen, bevor sie sterbe.

Beim Wiedersehen lüftet Gloria ihr „Geheimnis“. Die einst so überaus attraktive und vielfach begehrte Frau („allen Männern gefiel Gloria“) flüstert ihrer Freundin ins Ohr: „Ich habe noch nie.“ Was habe sie noch nie, fragt Monika. „Ich habe noch nie mit einem Mann geschlafen.“

„Schreib eine Seite über mich“

Die beiden Frauen kamen aus sehr unterschiedlichen Sphären – Gloria lebte in komfortablen, Monika in ärmlichen Verhältnissen. Ein Anstoß, diese Geschichte zu erzählen, kommt von Gloria selbst: „Ja, Moni“, bittet sie, „schreib eine Seite über mich, denn wenn ich sterbe, ist dann noch etwas von mir da.“

Gloria wird uns im Laufe dieser Erzählung nicht so vertraut wie zuvor die Verwandten der Erzählerin in den Romanen „Die Bagage“ (eine Besprechung gibt es HIER), „Vati“ (HIER) und „Löwenherz“ (HIER). Doch das ist nachvollziehbar. Denn Gloria und Monika waren nur fünf frühe Jahre lang, im Alter von 13 bis 18 Jahren, eng befreundet. So bleibt ein Geheimnis um die Freundin, um ihr Leben und Trachten.

„Während ich mit Wut auf die Tastatur klopfe“

Einst träumte Gloria von Amerika. Und Monika, so scheint es, träumte gerne mit. „In Amerika klingt Moni nicht wie die Abkürzung von Monika“, befand Gloria. „Wir können Moni mit doppelt E schreiben. Und zwischen den Silben ein Bindestrich: Mo-Nee. Gloria and Mo-Nee. Dagegen stinkt Gloria direkt ab.“ Und in Amerika, so Glorias Plan, sollte auch die Sache mit der Jungfernschaft ihr Ende finden.

Das ist lange her. Eine der guten Erinnerungen. Aber es gibt auch andere. Und nicht aller Ärger ist verraucht. Es gibt Erlebnisse, die noch Jahrzehnte später nachhallen. Monika schreibt: „Während ich mit Wut auf die Tastatur klopfe, ärgere ich mich über Gloria nicht weniger, als ich mich damals geärgert hatte.“

„Ich lese alle deine Interviews“

Dass die Erzählerin Monika mit der Schriftstellerin Monika Helfer sehr vieles gemeinsam hat, steht außer Frage. Gloria gibt einen einschlägigen Hinweis: „Ich lese alle deine Interviews. Ich gebe deinen Namen in den Google ein, drücke auf News und auf die letzten vierundzwanzig Stunden, und dann sehe ich, was es Neues über dich gibt.“

Es weisen also alle Zeichen darauf hin, dass zwischen der Erzählfigur Monika und der Autorin Monika Helfer nicht viele Blätter Papier passen. Allerdings firmiert das Buch als Roman. Nicht zuletzt betont die Autorin in einem Verlagshinweis, dass sie gerade bei der Zeichnung der Gloria zum Farbkasten der Fiktion gegriffen habe.

„Ich höre den Dylan aus seinem Zimmer“

Monika Helfers Erzählverfahren ist das mittlerweile vielfach bewährte. Sie legt ihre Karten – soweit wir das beurteilen können – offen auf den Tisch. Leserinnen und Leser sind eingeladen, ihr beim Schreiben über die Schultern zu schauen. Das wirkt allemal einnehmend, offen, authentisch: „Jetzt ist dieser Satz niedergeschrieben, jetzt lasse ich ihn stehen.“

Abermals wird der Ehemann als kritischer Begleiter einbezogen. Dabei handelt es sich, wer wüsste es nicht, um Michael Köhlmeier, der seinerseits mit seiner Erzählkunst die literarische Welt erfreut, zuletzt mit „Frankie“, einem Roman, den wir auf diesem Blog HIER besprochen haben. Gut, wir geben es zu, dass die Einblicke in den dichtenden Haushalt von nicht geringem Reiz sind: „Michael sitzt in seinem Arbeitszimmer, er hat das Fenster geöffnet, der Föhn bläst, er mag das, ein verlogener Frühling, sagt er. Ich höre den Dylan aus seinem Zimmer.“

„Das wollte ich eigentlich nicht erzählen“

Überhaupt wird, wenn Monika Helfer von ihren Nächsten erzählt, nicht zuletzt das eigene Ego verhandelt. Dazu gehört in diesem Falle auch die Geschichte von ihrem Schwiegervater aus erster Ehe. Der sei in der NS-Zeit ein Obersturmbannführer gewesen, lesen wir. Als er anfing, einen „Roman“ als Rechtfertigungsschrift zu verfassen, habe er sie als „Tippse“ beschäftigt. Monika Helfer schreibt: „Das wollte ich eigentlich nicht erzählen, es ist mir so sehr zuwider.“

Von solchen Momenten, derer es viele gibt, lebt der Roman. Von dieser Mischung aus intensiver Recherche und aufblühender Erinnerung. Kurz und knackig. Ein starkes Lebenskapitel.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

finden sich Besprechungen zu Monika Helfers Romanen „Die Bagage“ (HIER), „Vati“ (HIER) und „Löwenherz“ (HIER).

Monika Helfer: „Die Jungfrau“, Hanser, 152 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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