Schluss mit dem Synchronschwimmen: Katharina Peters Familienroman „Erzählung vom Schweigen“ über NS-Gewalt, 68er-Erziehung und Psychiatrie

Foto: Bücheratlas

Mit der Vorrede müssen wir uns nicht lange aufhalten. Denn wohin die Romanreise geht, wird schnell klar: „Fotos beweisen, dass meine Eltern ein Paar waren.“ sagt die Ich-Erzählerin Karolina in Katharina Peters „Erzählung vom Schweigen.“ Doch dann fährt sie sogleich fort: „In mir finde ich keine Bilder von den beiden als Paar.“

„Bis zum Zusammenbruch“

Bei den Eltern handelt es sich um Elke und Klaus, die auch genauso von den drei Kindern genannt werden: Elke und Klaus. Sie gehören der 68er-Generation an. Die Frau huldigt dem Marxismus/Leninismus (und macht später „Unmengen Geld“ bei McKinsey), während der Mann dem Laissez-faire zugetan zu sein scheint (und später Vorhaltungen der Tochter mit dem Hinweis „Ich wusste das ja nicht“ kontert). Und die Erziehung der drei Kinder? „Bei Iris, Aki und mir funktionierte es nicht so gut“, sagt Karolina.

Was da so alles schiefläuft, „bis zum Zusammenbruch“, erzählt Katharina Peter in „Erzählung vom Schweigen“. Die Autorin, 1980 in Bad Soden am Taunus geboren und heute als Dramaturgin in Hannover tätig, legt damit ihr Roman-Debüt vor. Es ist die packend aufbereitete Geschichte einer deutschen Familie zwischen NS-Verbrechen und Antiautoritärer Erziehung, Synchronschwimmen und Psychotherapie, Verschwinden und Verschweigen, Grenzüberschreitung und Missbrauch.

Mutter ist „ein harter Hund“

Ausführlich widmet sich die Ich-Erzählerin der „Gewalt in unserer Familienkultur“, die sie zurückverfolgt bis in die NS-Zeit. Und sie ist sicher, dass die Erfahrungen von Opfern und Tätern weiterwirken über Generationen hinweg. Dabei verweist sie auf ein (real existierendes) Sachbuch der Soziologin Gabriele Rosenthal, die über den „Holocaust im Leben von drei Generationen“ geschrieben hat.  

Karolina sagt, dass ihre Mutter „ein harter Hund“ und ihr Vater „in der Not keine Hilfe“ sei. Elke und Klaus trennen sich eines Tages. Und die Ich-Erzählerin, gepeinigt von Paranoia und Todesangst, wird in die Psychiatrie eingewiesen. Die Umstände, in denen sich Karolina bewegt, sind fast durchweg kritisch. Seelenfrieden gibt es kaum einmal. Allerdings erzählt Katharina Peter davon auf eine so flott-lakonische Weise, dass niemand bei der Lektüre Gefahr läuft, in einer nebelschweren Novemberstimmung verloren zu gehen.

„Miss Selbstgerecht“

Für Auflockerung sorgen zudem zahlreiche „Stellenkommentare“, die in Klammern gereicht werden. Da befindet die Ich-Erzählerin recht kurz „Stimmt so nicht“, entdeckt sie eine „Schreckliche Metapher“ oder nennt sie sich „Miss Selbstgerecht“. Als sie aus dem Kriegstagebuch ihres Großvaters zitiert, ermahnt sie sich (und uns): „Zahl prüfen.“ All das verleiht dem Roman die Anmutung eines literarischen Berichts. Ein Eindruck, der durch die Schreibmaschinen-Typographie bei den Überschriften verstärkt wird.   

„In unserer Familie werden Geheimnisse gut gehütet“, lesen wir und glauben es gerne. Mit dieser Tradition des Verschweigens bricht die Ich-Erzählerin entschieden. Die ehemalige Synchronschwimmerin – das Buch-Cover unterstützt diese Deutung – bewegt sich auf einer eigenen Bahn. Vermutlich ist es eine große Befreiung, die vielen Facetten des Schmerzes anzusprechen. Einmal sagt Karolina: „Weinend kann ich immer lachen.“

Martin Oehlen

Lesung

mit Katharina Peter in Leipzig in der Langen Lesenacht in der Moritzbastei (28. 4. 2023).

Katharina Peter: „Erzählung vom Schweigen“, Matthes & Seitz, 246 Seiten, 22 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

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