
Die Literaturszene in Nordrhein-Westfalen schaut auf Köln und kratzt sich am Kopf. So sieht es Antje Deistler vom Kulturrat NRW, in dem sie die Sektion Literatur leitet. Das Kopfkratzen rühre daher, so sagte sie es am Mittwochabend bei einer Veranstaltung im Literaturhaus Köln, dass Teile der Stadtgesellschaft plötzlich ihre vielfach gerühmte und ausgezeichnete Zentralbibliothek ramponierten: „Die Zentralbibliothek total abzuwerten – darüber herrscht blankes Entsetzen.“
„Irritiert und verstört“
Tatsächlich kommt aus der Kölner CDU plötzlich die Überlegung, die seit langem vorbereitete Sanierung des Gebäudes abzublasen und stattdessen einen Neubau zu planen. Daraus erwuchsen mittlerweile weitergehende Gerüchte, wonach das für die Sanierungsphase angemietete Interim auf der Hohe Straße durchaus in eine Dauerlösung umgewandelt werden könnte. Begleitet wird diese Debatte von offenbar frei formulierten Kostensteigerungen und leichtfertig gestreuten Zweifeln an der Statik (die umgehend zurückgewiesen wurden).
Die Empörung auf der Bühne des Literaturhauses war groß. Hausherrin Bettina Fischer, die auch für die Literaturszene Köln sprach, zeigte sich „irritiert und verstört“. Sie hält gar nichts von einem Neubau oder gar einem Umzug der von Direktorin Hanne Vogt mit großem Erfolg geführten Institution. Dies für den Hintergrund: Die Zentralbibliothek wird jährlich von über zwei Millionen Besucherinnen und Besuchern aufgesucht – das sind mehr als bei allen anderen Kulturinstitutionen in Köln zusammen, auch mehr als bei den Heimspielen des 1. FC Köln, wie zu erfahren war, und nur die Schwimmbäder werden noch stärker frequentiert.
„Baustein für einen schönen Platz“
Architekt Reinhard Angelis (BdA) stellte in seinem Vortrag fest, dass eine Zentralbibliothek nicht repräsentativ, sondern nahbar sein müsse. Damit reagierte er auf spektakuläre Architektur-Visionen für diesen Standort. Auch erläuterte er, dass gerade nicht die Zeit für Neubauten sei. Die Stadt Köln habe sich verpflichtet, bis 2035 klimaneutral zu sein. Und dazu könne nur eine Sanierung beitragen, aber nicht ein Neubau, der jede Menge, vermutlich das Doppelte an Energie benötige.
Reinhard Angelis plädierte dafür, die Sanierung zu nutzen, den Haubrich-Hof aufzuwerten. Um die „Angsträume“ zu beseitigen und „einen schönen Platz“ zu gestalten, sollte man die Bibliothek als Baustein nehmen. Sehr bedenkenswert sein Vorschlag, einen abschließenden, den Josef-Haubrich-Hof einfassenden Pavillon an der Leonhard-Tietz-Straße zu platzieren. Es sollte eine Art „Juwel“ sein, wie er es nennt, in das möglicherweise einmal das Literaturhaus einziehen könnte.
Der soziale Zement der Stadt
So kam dann einer nach dem anderen zu Wort. Rainer Osnowski von der lit.Cologne sieht hinter der CDU-Initiative die „Bauherrenlobby“ am Werk, die sich ein Filetstück sichern wolle. In dieser Stadt, dessen Kulturdezernenten er als „schwach“ bezeichnet, wundere ihn nichts mehr. Auch nicht – so viel Ironie darf sein – ein Umzug der Zentralbibliothek gemeinsam mit dem FC an den Stadtrand nach Marsdorf.
Grünen-Kultursprecherin Brigitta von Bülow versicherte, dass für sie der Sanierungsbeschluss weiter „steht“. Auch hob sie den Bibliotheksbau als „kulturelles Erbe“ der Stadt hervor. SPD-Kultursprecherin Maria Helmis brachte das Votum ihrer Fraktion mit in den Saal, die entschlossen hinter der geplanten Sanierung stehe. Sie sei „stinkwütend“, bekannte sie, wegen der Desinformation mit „ätherischen“ Zahlen. Auch verwies sie auf den niederländischen Architekten Aat Vos, der die überzeugende Ansicht vertrete, dass die Bibliothek der soziale Zement in der Stadt sei.
„Ein dritter Ort“
Anton Bausinger, Vorsitzender des Fördervereins der Stadtbibliothek, brachte ein wenig Ordnung in die Zahlen. Insbesondere stellte er noch einmal klar, dass die bei einer Statik-Untersuchung aufgelisteten Mängel allesamt „nichts Besonderes“ gewesen seien. Im Gegenteil – nach so vielen Jahren hätte man mit durchaus mehr Problemen rechnen können.
Pater Stephan Kessler von der benachbarten Pfarrei Sankt Peter machte sich stark für die Beibehaltung eines kommerzfreien Areals. Der Haubrich-Hof müsse ein Freiraum, „ein dritter Ort“ bleiben. Die Zentralbibliothek stehe dafür „par excellence“. Sie trage dazu bei, dass der „Drogenhotspot der Stadt, vielleicht sogar von ganz NRW“ nicht noch mehr vermülle.
Kein Zweifel am Standort
So waren sich bei der Solidaritätsveranstaltung im Literaturhaus Köln am Ende alle Rednerinnen und Redner einig. Zwingend sei die Zentralbibliothek am bewährten Standort zu sanieren. Auch jene, die sich aus dem Publikum zu Wort meldeten, stimmten in diesen Tenor ein, darunter der CDU-Politiker Mario Schmitz aus der zuständigen Bezirksvertretung Innenstadt.
Schade nur, dass der CDU-Kulturpolitiker Ralph Elster, der das Tohuwabohu ausgelöst hat, nicht auf dem Programm stand. Denn es hilft ja wenig, wenn Moderator Martin Stankowski in den Saal hinein fragt: „Was treibt Herrn Elster?“
Martin Oehlen
Hinweis: Der Screenshot am Kopf der Seite stammt aus der Präsentation von Reinhard Angelis im Rahmen der Veranstaltung im Literaturhaus.