
Mit dem Ehemann ist sie durch. Das erste Weihnachtsfest nach der Hochzeit feiert die Ich-Erzählerin bereits ohne ihn. Die Eltern sind klug genug, den Mund zu halten, als die Tochter Heiligabend ohne den Partner bei ihnen auftaucht. „Die zweite Hochzeit zahlst du selbst, hat Mama gesagt. Damit kann ich leben. Papa hat eigentlich gar nichts gesagt.“ Auch das halte sie für eine im Wesentlichen höfliche Reaktion. Allein die Oma wird blass, als sie vom Ehedrama der Enkelin erfährt. Woran es lag, dass die Beziehung nach nur wenigen Monaten gegen die Wand fuhr?
„Was ich am allerliebsten gemacht habe“
Die Erzählerin in Esther Schüttpelz‘ großartigem Roman „Ohne mich“ hat da eine sehr eigenwillige Theorie. Es lag am Besteck. „Als du das Besteck von WMF gekauft hast, da ging mir das einfach in die falsche Richtung“, erklärt sie dem Ehemann nach der Trennung. „Du hast bis zu diesem Zeitpunkt vor mir versteckt, was für ein Spießer du bist.“
„Ohne mich“ ist der erste Roman von Esther Schüttpelz. Wie ihre Protagonistin hat sie in Münster Jura studiert und dort auch ihr Referendariat absolviert. Inzwischen lebt die 30-Jährige in Berlin, ihren Rechtsanwaltsberuf hat sie nach einem halben Jahr an den Nagel gehängt, „um sich kreativ auszudrücken“. Sie habe schon als Kind und Jugendliche Kurzgeschichten, Gedichte und Romane geschrieben, sagt Esther Schüttpelz im Interview mit dem Diogenes-Verlag. „Schreiben ist immer das gewesen, was ich am allerliebsten gemacht habe.“
Obercool auf der Tanzfläche
Ihr Debütroman stellt das Schreibtalent der Autorin eindrucksvoll unter Beweis. Hier formuliert jemand, der mit Sprache umgehen kann und so mitreißend witzig und temporeich erzählt, dass es einen nahezu atemlos macht.
Ihre Ich-Erzählerin taumelt nach der Trennung von Party zu Party. Sie betrinkt sich bis zur Besinnungslosigkeit, beginnt eine kurze Affäre mit einem Kollegen und versucht, in einem Yogacamp zur Ruhe zu kommen. Strategien gegen die allgegenwärtige Einsamkeit, die sie wie eine zweite Haut umhüllt. Wunderbar die Szene, in der sie allein auf der Tanzfläche steht und nur abwechselnd mit den Pobacken zuckt, weil sie das gerade für obercool hält.
Der Tanker zieht vorüber
In ihrer Clique ist die Wieder-Single-Frau mit der scharfen Zunge eine Außenseiterin, deren Eskapaden und gelegentliche Wutausbrüche achselzuckend ertragen werden. „Wer versteht mich?“, fragt sie sich. „Es wäre schön, wenn es da jemanden gäbe, oder wenigstens jemanden, der mich missversteht, weil das ja immerhin andeuten würde, dass diese Person es versucht, das Verstehen.“
Das nächste Weihnachtsfest zieht an ihr vorbei „wie ein schwerer Tanker auf einem Kanal. Ich sitze am Ufer und glotze ihn an.“
Sehnsucht und Zweifel
Gnadenlos macht sie sich über die Macken ihrer Altersgenossen lustig. Über diejenigen, die abends im „Babel“ abhängen und jede Frau, die einen Hosenanzug trägt, für „ein interessantes Hybrid zwischen kapitalistischem Arschloch und durchsetzungsfähiger Zukunftsfrau“ halten.
Natürlich sei ihre Protagonistin vom Zeitgeist geprägt, sagt Esther Schüttpelz. Dennoch wolle sie „Ohne mich“ keinesfalls als Generationenroman missverstanden wissen. Für sie stünden die typischen Sehnsüchte und Zweifel von jungen Erwachsenen im Vordergrund. „Aber vielleicht auch die von älteren Erwachsenen, die ja ebenso die Gegenwart bewältigen müssen.“
Petra Pluwatsch
Lesungen
mit Esther Schüttpelz am 8. 3. 2023 in München (Club Ampere, 20 Uhr); am 9. 3. in Köln, wo sie gemeinsam mit Cecilia Joyce Röski und Lisa Roy für den lit.Cologne-Debütpreis nominiert ist (Balloni Hallen, 19.30 Uhr); am 30. 3. in Wien (Dombuchhandlung, 19.30 Uhr) und am 27. April 2023 im Rahmen der Leipziger Buchmesse (Moritzbastei, 18 Uhr).
Esther Schüttpelz: „Ohne mich“, Diogenes, 208 Seiten, 22 Euro.
