
Wer Italien „in seiner dröhnenden Komplexität und grellen Widersprüchlichkeit“ begreifen wolle, schreibt Eric Pfeil, der konzentriere sich auf die Musik. Gewiss gibt es noch die eine oder andere alternative Weise, um dem Land auf den Grund zu gehen. Aber was der Autor und Musiker in „Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien“ ans Licht befördert, ist schon eine Pracht. Wir wissen ja, dass Goethe als Italien-Fürsprecher uneinholbar ist. Aber Eric Pfeil ist auch ziemlich stark, wenn er vom Gesamtkonzept schwärmt, vom Look und von der Lebenseinstellung.
Ausverkaufter Auftritt in Köln
Dass die „canzone italiana“ äußerst ergiebig ist, beweist Eric Pfeil auch auf seiner aktuellen Lesetournee. Die führte ihn nun erneut in Italiens nördlichste Stadt, in die Colonia Claudia Ara Agrippinensium, weithin bekannt unter dem Namen Köln. Was die Stadt mit Italien verbindet, macht er beiläufig deutlich: „In Köln funktioniert nichts.“ Dabei handelt es sich im Übrigen um den Wohnsitz des Autors und den Sitz des Verlags Kiepenheuer & Witsch, in dem der Band im Mai erschienen ist. In der ausverkauften Stadtbibliothek gab es nun am Dienstagabend eine selbstmoderierte Lesung mit Ton- und Bildbeispielen. Bravo!
Während die Soloshow in großen Schritten voranschreitet, folgt das Buch dem Alphabet. Der musikalische Giro d’Italia beginnt mit „Aida (1976) von Rino Gaetano und endet mit „Voce“ (2021) von Madame. Zwischendurch wird „’O Sole mio“ (1916), gesungen von Enrico Caruso, als „der weltweit erste waschechte Pophit made in Italy“ gewürdigt. Und ansonsten ist alles dabei, was ohne Zeitverzögerung Glückshormone freizusetzen vermag: „Nel blu dipinto di blu“ (1958) von Domenico Modugno, besser bekannt als „Volare“, dann „Un’ Estate italiano“ (1989) von Gianna Nannini und Edoardo Bennato oder „Felicità“ (1982) von Al Bano & Romina Power.
Mit „Gloria“ am Leverkusener Kreuz
Selbstverständlich gehört auch der Titelsong zu den Tophits: „Azzurro“ (1968) von Adriano Celentano, der zu diesem Lied erst einmal überredet werden musste. Eric Pfeil selbst empfiehlt „Gloria“ (1979) von Umberto Tozzi. Es sei „bis heute ein wunderbares Stück, um dazu eine italienische Küstenstraße entlangzufahren. Und sollte gerade keine Küstenstraße zur Hand sein: Mit ‚Gloria‘ im Ohr verwandelt sich selbst das Leverkusener Kreuz in eine ebensolche.“
Das Schöne an dem Band ist, dass wir nicht nur jede Menge über kaum bekannte, bekannte und scheinbar allzu bekannte Songs des „Pop all’italiana“ erfahren. Damit war zu rechnen. So richtig attraktiv wird der Überblick dadurch, dass er Landeskundliches zuhauf unterbringt. „In Neapel spitzt sich Italien zu“, heißt es. „Bella Napoli ist eine Stadt, die in ihrem melancholischen Leichtsinn manchmal das Italienische im Blockbuster-Format zu parodieren scheint.“ Und aus dem „Corriere della Sera“ zitiert der Autor die Lesefrucht, „dass die 59 Millionen Italiener zwar dazu neigten, 59 Millionen Parteien anzugehören, dass sich in einigen kleinen Dingen aber Einigkeit herstellen ließe.“
Paolo Conte sieht eine Sternschnuppe
Weil man aber selbst ein Land wie Italien nicht über den grünen Klee loben sollte, fallen auch mal Stichwörter wie Mafia und Berlusconi. Aber das kennen wir ja aus der eigenen Großwetterlage: Wo viel Sonne scheint, können Schatten vorkommen.
Die persönliche Perspektive, der heitere Ton und viele Details schmücken die kurzen Kapitel. Zu den Details gehört, dass Paolo Conte den von ihm komponierten Song „Azzurro“ einmal bei einem Open-air-Konzert anstimmt – aber den Text vergisst, weil eine Sternschnuppe am Firmament erscheint.
So eine literarische Sternschnuppe ist auch dieses Lesebuch: leuchtend, kurzweilig, leichtfüßig. Allerdings wird die Zeit, die man damit verbringt, auf eigenwillige Weise gestreckt. Denn ein ums andere Mal werden Leserin und Leser verleitet, den Titeln nachzuspüren und zu lauschen. „Azzurro“ ist also auch das: Ein Buch zum Mitsingen und Mitsummen. Tatsächlich haben wir beim Verlassen der Kölner Veranstaltung Menschen am Josef-Haubrich-Hof beobachtet, die in den Sommerabend hinein ihre ganz persönliches „Volare“ trällerten.
Martin Oehlen
Die Lesetournee
geht weiter und führt im September 2022 zum Salonfestival Köln (15.), dann nach Bonn (16.), Rinkerode (18.), Neusäß bei Augsburg (22.), in den Popsalon nach Berlin (27.), weiter im Oktober nach Darmstadt (13.) und Karlsruhe (17.) und im November nach Bielefeld (4.) und Bergisch Gladbach (18.), wo der Autor aufgewachsen ist und von wo aus er mit seinen Eltern („Überzeugungssozis“), Wolfgang Bosbach und der CDU-Ortsgruppe in den 1980er Jahren nach Rom gereist ist, worauf seine Leidenschaft für Italien „entflammte“.
Eric Pfeil: „Azzurro – Mit 100 Songs durch Italien“, Kiepenheuer & Witsch, 368 Seiten, 14 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

Teil das doch auf Instagram. Wenn ich allein Paolo Conte sehe. Die anderen natürlich auch. Ich durfte vor einiger Zeit ein Buch über Vico Torriani vorstellen. Spannend. Der zeitgeschichtliche Hintergrund…die Musik. Dein Beitrag bringt mich zum singen. Innerlich. Laut tue ich meiner Unwelt nicht an.
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