
Damit hat Hugo Gardner – wohlhabend, gebildet, anerkannt, vital – nicht gerechnet. Der New Yorker ist 84 Jahre alt, als sich seine deutlich jüngere Ehefrau Valerie nach beinahe 40 Jahren von ihm trennt. Nicht sanft, sondern hässlich: „Ich kann dich nicht ausstehen, seit Jahren schon kann ich dich nicht mehr ausstehen. Weißt du das denn nicht, du Blödmann?“ Und wie jetzt weiter?
Debütroman im Alter von 58 Jahren
Die literarische Karriere des Louis Begley begann vor genau 30 Jahren. Da veröffentlichte er „Wartime Lies“ (dt. „Lügen in Zeiten des Krieges“, hier 1994 erschienen) – den überaus erfolgreichen Roman, der auf autobiografischen Erfahrungen während des Holocausts basiert. Begley wurde als Ludwik Begleiter im Schicksalsjahr 1933 geboren, im damals polnischen und heute ukrainischen Stryj. In einer Vorbemerkung zu jenem Roman ist von der „Scham“ des Erzählers die Rede, „am Leben geblieben, mit heiler Haut, ohne Tätowierung davongekommen zu sein, während seine Verwandten und fast alle anderen im Feuer umgekommen waren, unter ihnen so viele, die das Überleben eher verdient hätten als gerade er.“
Zum Zeitpunkt dieses Debüts war Begley bereits 58 Jahre alt. Allerdings hatte seine Dichtung nur eine sehr lange Pause gemacht. Das literarische Schreiben hatte er schon einmal in der Jugend praktiziert, wie in der Monographie seiner deutschen Übersetzerin Christa Krüger nachzulesen ist. Demnach reüssierte Begley mit einer Short Story bei einem Wettbewerb der New York University und besuchte in den 1950er Jahren einen Kursus für Creative Writing. Doch dann war plötzlich Schluss mit der Kunst. Begley widmete sich erst einmal seiner Karriere als Rechtsanwalt. Mit summa cum laude und Bravour.
Abrechnung mit Trump
Auf die Premiere von 1991 folgten zahlreiche Gesellschaftsromane, darunter die Schmidt-Trilogie. „Hugo Gardners neues Leben“, das jüngste Werk, steht in dieser Tradition. Wieder bewegen wir uns in der amerikanischen Upper Class. Geld spielt keine Rolle – nicht beim Champagner für zwischendurch, nicht beim Wochenendhaus, nicht beim Trinkgeld und auch nicht bei der Wahl der Hotelkategorie oder der Flugzeugklasse. Diesmal ist der Ich-Erzähler allerdings kein Jurist, sondern der pensionierte Chefredakteur des Magazins „Time“.
Hugo Gardner praktiziert – trotz „Ruhestand“ – weiterhin als politischer Journalist. Gerade hat er ein Buch über George W. Bush und Dick Cheney abgeschlossen. Eine Abrechnung. Auch Donald Trump bekommt da und dort einige Breitseiten ab. Gardner hätte die Wortwahl für einen Leitartikel womöglich variiert, aber hier im Buche sind wir ja unter uns. Da ist rund um Trumps Wahl von „einem eingebildeten, böswilligen Arschloch“ die Rede, von einem „bankrotten Kasinobetreiber“, einem Rassisten, der „ein verachtenswertes Schwein“ sei. Die Chance des Romanciers, ohne politisch korrekten Mundschutz zu räsonieren, wird von Begley entschlossen genutzt.
„Ich will mich nicht ans Leben klammern“
Doch nicht das Politische, sondern das Private steht im Zentrum. Hugo Gardner ist ein Senior, der an Prostata-Krebs leidet. Sein Leben will er genießen, solange es noch gut geht. Das ist seine Einstellung: „Ich will mich nicht ans Leben klammern und nicht für mich oder andere unerträglich werden.“ Das ist eine Position, die Louis Begley teilt. Jedenfalls steht es so geschrieben in seinem Essay „Auf der Stromschnelle – Eine Forschungsreise ins Land des Alters“ aus dem Jahre 2000: Lieber früh sterben als die Demütigungen durch den eigenen Körper ertragen müssen.
Das vermittelt Hugo Gardner auch der ehemaligen und wiedergefundenen Freundin Jeanne in Paris, die er einst für Valerie sitzengelassen hatte. Zwischen der Comtesse de Viry und ihm entwickelt sich eine neue Beziehung, über deren sexuelle Details wir mit einer gewissen Penetranz auf dem Laufenden gehalten werden.
Frauen geben die Richtung vor
Doch dann lässt sich diese Jeanne, deren Ehemann irgendwo in der großzügigen Immobilie dement dahindämmert, auf einen anderen Ex-Liebhaber ein. Hugo hat ausgedient. Ja, es ist ein buntes Trennen und Wiederfinden zu beobachten. Bei alledem lässt sich sagen, dass der gemeinhin so souveräne Hugo Gardner nicht Herr des Verfahrens ist. Frauen geben ihm die Richtung vor: Mrs. Valerie Gardner verlässt ihn wegen eines jüngeren Mannes, Tochter Barbara nimmt ihn aus, Freundin Jeanne serviert ihn ab und Cousine Sally drängt sich in sein Leben.
Louis Begley erzählt die Geschichte eines alten weißen Mannes, der weiß, dass auch ihm kein Happy End beschieden sein wird. „Schauen Sie sich um: Jedes Leben nimmt ein mehr oder weniger schlimmes Ende. Warum sollte meines eine Ausnahme sein?“ Ein Freund des Erzählers stimmt einmal den Georges-Moustaki-Song „Il est trop tard“ an. Die Kurzfassung lautet: Die Zeit verrinnt so schnell. Doch Sentimentalität ist nicht die Sache von Hugo Gardner. Auch nicht die Sache von Louis Begley, der ein Jahr jünger ist als sein Held.
Die „Landschaft des Alters“ hat der Autor in seiner Prosa schon oft erkundet. Auch diesmal verfolgt er die Spur der späten Jahre mit einer solchen Abgeklärtheit, frei von aller billigen Rührseligkeit, dass es geradezu anrührend ist.
Martin Oehlen
Louis Begley: „Hugo Gardners neues Leben“, dt. von Christa Krüger, 236 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.
