Dank an Deutschland und an Özer Özerturgut: Navid Kermanis gesammelte Reden

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Der Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museum im Zeichen von Würfel, Quadrat und rechtem Winkel, konzipiert von Oswald Mathias Ungers. Foto: Bücheratlas

„Das Schielen nach der unmittelbaren Wirkung“, so sieht es Navid Kermani, „würde uns alle lahmlegen.“ Daher erwartet der Schriftsteller gar keinen schnellen Effekt, wenn er als Redner auftritt. Hätte er diese Erwartung, könnte er auch gleich zuhause bleiben. Aber das tut er bekanntlich nicht. Kermani ist ein begehrter Redner. Erst recht seit seiner Bundestags-Rede zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes, die er 2014 auf Einladung des damaligen Bundestagpräsidenten Norbert Lammert gehalten hatte. Nun traten der Autor und der Politiker gemeinsam im überfüllten Stiftersaal des Wallraf-Richartz-Museums in Köln und auf Einladung des hiesigen Literaturhaus auf, um den frischen Band mit Kermani-Reden vorzustellen: „Morgen ist da“ (C. H. Beck).

Lammert blickt ebenfalls mit Skepsis auf die unmittelbare Wirkkraft einer Rede. So stellte er fest, dass eine der eindrucksvollsten Regierungserklärungen in der Geschichte der Bundesrepublik von Willy Brandt stamme: „Wir wollen mehr Demokratie wagen!“ Doch er bezweifele, ob dieser Satz abgesehen von der großen Begeisterung noch eine weitere Wirkung erzielt habe. Auch fiel Lammert keine eigene Rede ein, von der er behaupten wollte, sie habe etwas nachhaltig verändert.

Ja, der Politiker – der sich immer wieder Zeit zum Nachdenken nahm, bevor er druckreif formulierte – demonstrierte gleichsam live den Unterschied zwischen Zustimmung und Umsetzung. So sagte er, dass die Sozialen Medien zu einer „Beliebigkeit im Umgang mit der Sprache geführt haben, die eher erschreckend als beeindruckend ist“; allerdings sehe er eine Sensibilität entstehen dafür, „dass dies eine Kommunikation ist, die sich eine aufgeklärte Gesellschaft nicht leisten sollte.“ Da brandete Beifall auf – was Lammert mit dem Hinweis versah, der sei voraussehbar gewesen. „Den Applaus bekomme ich immer an dieser Stelle.“ Nicht voraussehbar sei hingegen, ob die spontane Zustimmung eine langfristige Wirkung habe.

Gleichwohl – Schweigen ist keine Alternative. Auch wenn die öffentliche Rede nicht jedermanns Sache ist. „Ich bin alles andere als ein geborener Redner“, bekannte Kermani, „ich komme aus Siegen, wo man nicht viel redet.“ Und kaum jemand aus seinem privaten Umfeld würde ihn als großen Kommunikator bezeichnen. Auch ginge ihm das Verfassen einer Rede nicht leicht von der Hand. „Doch wenn ich es schon mache, dann muss es sitzen.“

So wie die Rede zum Grundgesetz-Jubiläum saß. Sie sei im Grunde auf zwei Worte des Dankes hingeschrieben worden, die ganz am Ende standen, erläuterte Kermani. Doch weil von einem Schriftsteller kritische Töne erwartet würden und er selbst solche von sich erwarte, habe er erst einmal viele Missstände benannt. Gegen Ende freilich hielt er fest, dass die Bundesrepublik ein Leben in Freiheit ermögliche, wie es in großen Teilen der Welt nicht möglich sei. Daher beschloss er seine kritische Ansprache mit den zwei Worten, auf die alles ausgerichtet war: „Danke, Deutschland.“

Ein Problem bei vielen Reden sei, sagte Kermani, dass darin nicht gesagt werde, was der Redner tatsächlich denke, sondern was er meint, dass es von ihm erwartet werde. Eine literarische Rede könne nur gelingen, wenn sie aus eigenem Herzen und eigener Erfahrung komme. Seit 5000 Jahren würden die immer gleichen Themen behandelt _ Liebe und Hass, Geburt und Tod. Sie fänden Gehör, weil sie aus einem immer wieder neuen Blickwinkel beschrieben würden.

Dass es sich mit der politischen Rede strukturell anders verhält, wurde dann auch ausgeführt. Ein Politiker, der permanent Persönliches verkünden sollte, wäre schnell überfordert, räumte Kermani ein. Und Lammert benannte den zentralen Unterschied: Der Politiker spreche nicht als Privatperson, sondern in seiner jeweiligen Rolle, seinem jeweiligen Amt.

Der Abend, den Insa Wilke hoch motiviert und gut präpariert moderierte, endete mit keiner Rede, sondern dem Epilog des Bandes. Darin geht es um Kermanis Erinnerung an seine Trauerrede auf den Buchhändler seines Vertrauens am Kölner Eigelstein. Lange Zeit hatte er ihn mit „Herr Ömer“ angesprochen, was Ömer Özerturgut nicht korrigierte, obwohl es lediglich sein Vorname wahr; der Buchhändler seinerseits sprach seinen besten Kunden nur mit „Kermani“ an, als wäre das ein Vorname. Wenn ein bestelltes Buch im Anflug war, schickte Ömer Özerturgut, dessen Deutsch nicht perfekt war,  eine Mail: „Morgen ist da!“ Mehr Poesie und mehr Zukunft geht nicht.

Martin Oehlen

Navid Kermani: „Morgen ist da“, C. H. Beck, 368 Seiten, 26 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

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