
Blick ins Buch auf gemalte Unschärfe: Links ein „Verwaltungsgebäude“ (1964) und rechts „Helga Matura mit Verlobtem“ (1966). Foto: Taschen Verlag
Einen Gerhard Richter für zehn Euro? Den gibt es. Gut, es handelt sich nicht um ein Gemälde aus des Künstlers Hand. Allerdings sind auch Kunstbücher, die Richters Werk gewidmet sind, in der Regel keineswegs von der preiswerten Sorte. Nicht so der 200. Band der „Kleinen Reihe Kunst“ des Taschen Verlags. Da mag man sich erinnern an die Anfänge des Kölner Verlags vor 35 Jahren, als Benedikt Taschen einen Magritte-Band in den USA einkaufte und in Deutschland für 9,95 Euro anbot. Es war ein Überraschungserfolg, der den weiteren Weg wies. Die erste Eigenproduktion, die Pablo Picasso galt, war dann der Auftakt zur „Kleinen Reihe Kunst“.
Zum Jubiläum lässt sich nun Klaus Honnef auf das Werk des in Köln lebenden und aus Dresden stammenden Gerhard Richter ein. Der vielseitig der Kunstszene verbundene Honnef hat 1969 in Aachen Richters „erste institutionelle Ausstellung“ kuratiert (die erste Galerie-Schau gab es schon 1964 bei Alfred Schmela in Düsseldorf). Und bereits 1976 hat Honnef eine Monographie über Richter veröffentlicht. Diese profunde Vertrautheit ist dem schmalen, kompakten, bilderreichen Band eingeschrieben.
Getreulich und zügig schreitet Honnef durch die Werkgeschichte. Er preist den Künstler als jungen Mann, der „alten Formen und Kategorien, die durch doktrinäre Verwendung verbraucht und beschädigt worden waren, eine unvermutete Frische (verlieh), indem er ihnen ein reflexives Moment einzog und dieses visualisierte.“ Sodann geht es über die „fotografischen Bilder“, die nicht zuletzt „in der Zone des Metaphysischen, zumindest des Halluzinatorischen angesiedelt“ sind, bis hin zu den mit Rakel und Spachtel geschaffenen Farbflächen. Vergleichsweise knapp geht es um die Familiengeschichte, die sich etwa in dem Bild „Tante Marianne“ findet und auf das Nazi-Morden verweist. Und immer wieder wird die Rolle des Zufalls, der Unschärfe und der Absichtslosigkeit gewürdigt. Richter selbst hat über „Ema (Akt auf einer Treppe)“ gesagt, weder das Foto noch das daraus folgende Gemälde seien „geplant und überlegt“ gewesen.
Der Zufall spielte – trotz aller notwendigen Planung – auch bei jenem Richter-Werk eine Rolle, das mittlerweile wohl so bekannt ist wie kein anderes: Das Südfenster im Kölner Dom. Da diskutieren die Betrachter zuweilen, ob das Licht im Fenster oder die Reflektion auf den Säulen die größere Sensation sei. Die Hälfte der über elftausend Glassegmente in 72 Farben wurde von einem Computerprogramm „nach dem Zufallsgesetz“ festgelegt, die dann wiederum gespiegelt wurde. Es sind vor allem die Farben des Mittelalters, schreibt Honnef, die hier leuchten: Rot, Blau, Silbergelb, Grün, Schwarz und Weiß. Die Farbwahl sei eine Erinnerung an das Farbuniversum von einst, lesen wir: „Echo eines Verlustes der Kunst und ein neuer Aufbruch zugleich.“ So schön kann der Zufall sein.
Martin Oehlen
Klaus Honnef: „Richter“, Taschen, 96 Seiten, 10 Euro.