Michael Köhlmeier und Raoul Schrott machen eine literarische Entdeckung

 

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Martin Schneitewinds Roman spielt – so wie ihn Michael Köhlmeier und Raoul Schrott präsentieren – in der Wüste. Seine eigene Spur im Sand ist in Gefahr, jederzeit vom Wind verweht zu werden. Foto: Bücheratlas

Eine Merkwürdigkeit ersten Ranges ist der Roman „An den Mauern des Paradieses“, gehoben aus dem Nachlass eines gewissen Martin Schneitewind. Wer den Namen des Autors noch nie gehört hat, muss sich keine Sorgen machen. Es handelt sich, so erfahren wir, um das Debüt eines Mannes, der die Urfassung des Textes in Kooperation mit dem italienischen Autor Dino Buzzati (1906 – 1972) verfasst hat. Wer die Ideen lieferte, wer die Sätze glättete, wer die meiste Arbeit übernahm – nichts Genaues weiß man nicht. So geht die Mär weiter: Als das Manuskript allein unter Buzzatis Namen in Italien erscheinen sollte, habe Schneitewind das Manuskript aus dem Verlag entwendet. Diebstahl? Nix da! Es sei ja sein Text gewesen. Fortan galt das Werk als verschollen.

Doch nun wird es von Michael Köhlmeier und Raoul Schrott in die Öffentlichkeit gebracht. Schneitewinds Lebensgefährtin Margit Geyer – Fiep genannt – hatte sich nach dem Tod des Autors mit dem Manuskript an Köhlmeier gewandt, mit dem beide in fernen Studientagen in einer WG gelebt hatten. Allerdings hatte Schneitewind das Manuskript zwischenzeitlich neu auf  Französisch verfasst. Weil nun Köhlmeier des Französischen nicht mächtig ist, bat er seinen Freund Raoul Schrott um eine Übersetzung. So machen sich zwei österreichische Schwergewichte der deutschsprachigen Literatur daran, einen unbekannten Autor und seinen ominösen Roman publik zu machen. Oder den einen wie das andere zu erfinden?

Erzählt wird vorderhand eine seltsam entrückte Geschichte, die gleichermaßen mythologisch wie tagespolitisch aufgeladen ist. Da pendelt der kanadische Orientalist Ostrich – wieviel Vogel Strauß und wieviel Österreich in den Namen stecken, lassen wir mal offen – da pendelt also Ostrich zwischen dem Garten Eden der Bibel und einer modernen Wüsten-Diktatur, zwischen Tontafel-Expertise und der Fahndung nach der mondsüchtigen Evita. Währenddessen kommt er gerne auf das Verhältnis von Wahrheit und Lüge zu sprechen. Und er wendet sich auch mal direkt an uns: „Wenn ich Sie jetzt fragen könnte, ob Sie stets die Wahrheit sagen, was würden Sie denn sagen, na?“

Schneitewind? Im Ganzen überwog das Negative.

Doch so recht wird aus alledem erst eine Geschichte aufgrund der Nachworte von Schrott und Köhlmeier, die uns die Genesis des Werks erläutern. Schrott fordert in seinen „Editorischen Notizen“ recht entschieden, dass man sich allein auf den Text konzentrieren möge: „Welche Person dahintersteckt, erschien mir stets peripher.“ Allerdings widmet sich Köhlmeier in seinem Nachwort nachdrücklich der Person hinter dem Text. Unverhohlen teilt er mit, wie wenig begeistert er gewesen sei, als ihm Fiep im Jahre 2015 das Manuskript angeboten hatte. Denn seine Erinnerungen an Schneitewind „waren gemischt, im Ganzen aber überwog das Negative.“ Gleichwohl –  der Kommilitone hatte einst die komplette WG becirct, weil er sich offenbar einem jeden anverwandeln konnte, biegsam war und „sich aufs Herzlesen verstand“. Sie liebten und sie hassten ihn.

Köhlmeier gesteht, dass  Schneitewind sogar Vorbild gewesen sei für den Helden seines Schelmenromans „Die Abenteuer des Joel Spazierer“, der 2013 erschienen ist. Dieser Spazierer war ein skrupelloser Lügner. Freundlicher gesagt: ein begnadeter Geschichten-Erfinder. Also: ein Erzähler.

Fake oder nicht Fake

Das ist hier die Frage: Fake oder nicht Fake. Schon hat es Nachforschungen in Straßburg gegeben, wo Schneitewind gelebt haben könnte; doch die Spurensucher sind bislang erfolglos geblieben. Und das Buch? „An den Mauern des Paradieses“ ist in jedem Falle ein verzwicktes Spiel mit der Fiktion. Auch ist es eine Räuberpistole aus dem Literaturbetrieb. Und ein Spaß obendrein. Gewiss nicht zuletzt für Michael Köhlmeier und Raoul Schrott.

PS: Die Vita im Klappentext entspricht offenkundig nicht der Wahrheit. Da wird behauptet, Schneitewind sei 2009 gestorben. Dem Nachwort zufolge trat dieser traurige Fall aber erst 2015 ein.

Martin Oehlen

http://www.ksta.de

Martin Schneitewind: „An den Mauern des Paradieses“, dt. von Raoul Schrott und mit einem Nachwort von Michael Köhlmeier, dtv, 396 Seiten, 24 Euro.

Schneitewind

 

 

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