
Vladimir Sorokin Fotos (2): Kiepenheuer & Witsch / Maria Sorokina
Das muss man mögen. Extravagante Speisen sind beileibe nicht jedermanns Sache. Und hier reden wir nicht von Steaks, die mit Goldblättchen verfeinert werden. Sondern von Fisch und Fleisch, die über brennenden Büchern gegrillt werden. Denn das ist der neueste Gourmettrend: „Book ’n’ Grill“. Die verwöhnten Zeitgenossen des Jahres 2037, denen wir in Vladimir Sorokins Roman „Manaraga – Tagebuch eines Meisterkochs“ begegnen, kennen nichts Prickelnderes als das: „Hammelschulter auf »Don Quichotte« oder Thunfischsteak auf »Moby Dick«“ oder auch „Schaschlyk vom Stör auf dem »Idioten«“ (ein Exemplar reicht aus für acht Spieße).
Der Clou bei der Sache ist, dass es sich jeweils um wertvolle Ausgaben handelt, die den Grill auf Temperatur bringen. Am liebsten Erstausgaben. Die werden verfeuert nach allen Regeln der zukünftigen Grillkunst. Wesentlich gesteigert wird das Geschmackserlebnis dadurch, dass solche Feuerstellen verboten sind. Zum einen geht die Beschaffung der wertvollen Ausgaben kaum ohne kriminelles Engagement ab; zum anderen werden solche Diebstähle aus Museen und Bibliotheken auch noch in der Zukunft – also der, die uns in 20 Jahren erwartet – als kultureller Frevel angesehen. In der Buchgrill-Szene „legendär“ ist ein Nachtbuffet in der Athener Nationalbibliothek. Dafür bekam der Koch eine lebenslange Haftstrafe. Aber der Respekt seiner Kollegen war ihm daraufhin gewiss. Als dessen Schüler bezeichnet sich jetzt der Ich-Erzähler Géza, der selbst zu den Spitzen der „Book’n’Grill“-Szene gehört. Feurio!

Foto (1): Bücheratlas
Vladimir Sorokin, 1955 in Moskau geboren und mittlerweile auch in Berlin wohnhaft, hat ein satirisches Kunststück geschaffen. Schön schrecklich ist die Zukunft, die er dem gedruckten Buch in Aussicht stellt. In den einschlägigen Kreisen bestimmt nicht der jeweilige Inhalt die Qualität, sondern der Brennwert (abhängig ist von der Papierqualität und der Seitenzahl). Und die Seltenheit eines Werks spielt eine wichtige Rolle. In diesem Zusammenhang der Hinweis: Seit die Druckmaschinen verrosten, werden keine Bücher mehr gedruckt.
Diese Art von „Bücherverbrennung“ will also nicht die Texte vernichten, wie es im historischen Maßstab am 10. Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland geschehen ist. Oder wie es Sorokin – seit langem ein Kritiker der russischen Verhältnisse – einmal selbst erfahren hat: Da kam es zu einer Verbrennung seiner Bücher durch jene, die mit seiner politischen Position nicht einverstanden waren.
Auch wird in „Manaraga“ keine Diktatur simuliert wie in Ray Bradburys „Fahrenheit 451“. In dem Roman aus dem Jahre 1953 gilt das Lesen von Büchern als Verbrechen, weil es die Ursache sei für das illegale, nämlich nichtkonforme Denken. Bradburys Titel spielt im übrigen auf die Temperatur an, bei der sich Papier selbst entzündet. Und in „Manaraga“ wird diese Dystopie ebenfalls zu einer Art Grillkohle.
Der Roman nimmt eine neue Wendung, als eines Tages der Kodex der kriminellen Grillmeister verletzt wird. Plötzlich tauchen Kopien von Büchern auf, die als einmalig galten. Das kommt ans Licht, als eines Tages absolut identische Kopien einer englischen Erstausgabe von Nabokovs „Ada“ (mit Teeflecken und einer Bleistiftanstreichung auf Seite 142) auftauchen. Diese Molekularprodukte verändern den Markt, aber auch das Selbstverständnis der Marktführer. Ein außerplanmäßiges Konzil wird einberufen. Anschließend macht sich Géza im Auftrag der Grillmeister-Gilde in den Nordural auf. Die Quelle allen Kopierens scheint sich dort im Berg Manaraga zu befinden.
Vladimir Sorokin siedelt seinen Roman nach einem großen Krieg an, ausgelöst von der Zweiten Islamischen Revolution. Dem Menschen steht da die Künstliche Intelligenz hilfreich zur Seite. Implantate im Kopf – hier „Flöhe“ genannt – verbessern das individuelle Warnsystem, regeln die Gefühlslage zum Positiven und ermöglichen einen permanenten Zugriff auf eine Suchmaschine. Im Gespräch bleibt kein fremder Begriff lange fremd – der zuständige Floh klärt zügig auf.
Ja, und dann gibt es eben noch dieses gruselige gastronomische Grill-Konzept. Fast scheint es so, als formulierte Sorokin in diesem sanft köchelnden Roman seinen privaten Alptraum. Denn der Russe ist ja nicht nur Autor von Werken wie „Der Tag des Opritschniks“ oder „Telluria“, sondern auch Illustrator zahlreicher Bücher. So einer weiß, was ein gedrucktes Werk wirklich wert ist. Aber wir ganz gewöhnlichen Bücherfreunde wissen es natürlich auch.
Martin Oehlen
Vladimir Sorokin: „Manaraga – Tagebuch eines Meisterkochs“, dt. von Andreas Tretner, Kiepenheuer & Witsch, 254 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.
Kölner Lesung mit Vladimir Sorokin am Donnerstag, 10. Januar 2019, um 19.30 Uhr im Literaturhaus Köln.
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