
Hannah Coler mit dem „Crime Cologne Award 2018“ Fotos: Bücheratlas
Auf der Gala der Crime Cologne in Köln jubelte Hannah Coler Ende September 2018: „Ich freue mich ja so!“ Unter ihrem Arm klemmte der „Crime Cologne Award“, verliehen für den besten Krimi des Jahres 2018, den formidablen Spionageroman „Cambridge 5 – Zeit der Verräter“.
Hinter dem Pseudonym Hannah Coler verbirgt sich die deutsche Geschichtsprofessorin Karina Urbach. Seit 2015 lebt sie mit ihrer Familie in Princeton, USA, wo sie einen mehrjährigen Lehrauftrag hat und die Gesprächsprotokolle des amerikanischen Geheimdiensts CIC mit Nazigrößen des Dritten Reichs auswertet. Der Hintergrund ihrer Recherchen ist ein sehr privater. Karina Urbachs Vater Otto, ein frühzeitig in die USA emigrierter österreichischer Jude, arbeitete für den militärischen Nachrichtendienst CIC, den Counter Intelligence Corps , und später für die CIA, den amerikanischen Auslandsgeheimdienst.
Auch Otto Urbach spürte im Nachkriegsdeutschland untergetauchten Nazis nach und protokollierte die Verhöre. 1976 starb er im Alter von 63 Jahren in Brüssel einen mysteriösen Tod. Da war Karina acht Jahre alt und wusste nur, dass ihr Vater Dinge tat, die andere Väter nicht taten.
„Seine Arbeit war in unserer Familie immer ein großes Tabu“, erinnert sich die Historikerin. Vor allem die Mutter habe Probleme mit der dunklen Seite des Vaters gehabt und nie darüber gesprochen. Sie selber, sagt Karina Urbach, habe erst als längst Erwachsene begonnen, sich damit zu beschäftigen. „Ich erinnere mich, dass er mich als Kind an den Wochenenden manchmal mitgenommen hat zum Düsseldorfer Hauptbahnhof. Ich musste im Zeitungsladen warten, während er weiterging zu den Schließfächern.“ Was er dort tat, weiß sie bis heute nicht.
Ihre Mutter Wera Frydtberg, die 2008 starb, war eine bekannte Film- und Theaterschauspielerin. In „Ich denke oft an Piroschka“ spielte sie 1955 die Konkurrentin von Lieselotte Pulver, in „Wir Wunderkinder“ stand sie 1958 mit Hansjörg Felmy und Elisabeth Flickenschild vor der Kamera. „Wenn meine Mutter noch leben würde, hätte ich nicht gewagt, öffentlich über meinen Vater zu sprechen“, sagt Karina Urbach. Bis zu dessen Tod lebte die Familie in Düsseldorf. Offiziell arbeitete der Vater für ein amerikanisches Unternehmen in Neuss, ein „Cover-Job“, der als Tarnung diente für die Arbeit als Geheimdienstmitarbeiter.
„Heute verstehe ich, was ihn antrieb“, sagt Karina Urbach. „Als jüdischer Emigrant wollte er die Nazis auf seine Art bekämpfen. Das war das Positive an seinem Beruf.“ Wer ihn damals anwarb, wer eventuell an seinem Tod Schuld trägt – all das sind Fragen, auf die sie noch keine Antwort gefunden habe. „Ich vermute, dass ihn die CIA-Agentin Cordelia Dodson rekrutiert hat, als er Student in Oregon war. Beweisen kann ich das nicht. Ich weiß nur, dass die beiden eng befreundet waren.“
2015 hat die international bekannte Expertin für deutsch-britische Beziehungen ein Buch geschrieben über „Hitlers heimliche Helfer“. 2018 folgte ein weiteres über Queen Victoria: „Die unbeugsame Königin“. Und nun also „Cambridge 5“, ein intelligenter und mit viel Humor gewürzter Spionagethriller aus der Jetztzeit.

Hannah Coler alias Karina Urbach (Mitte) nach dem Gewinn des „Crime Cologne Award“ Ende September 2018 in Köln. Hier umgeben von der Jury: Petra Pluwatsch (von links), Mike Altwicker, Antje Deistler und Orkun Ertener. Nicht anwesendes Jury-Mitglied an diesem Abend im Restaurant des Museum Ludwig: Margarete von Schwarzkopf.
Wera, eine junge Studentin aus Deutschland, schreibt in Cambridge eine Seminararbeit über den Doppelagenten Kim Philby und den berühmt-berüchtigten Spionagering „Cambridge Five“. Die fünf Studenten wurden in den 1930er Jahren vom sowjetischen Geheimdienst angeworben und gelten bis heute als erfolgreichste Spione aller Zeiten. Doch die Vergangenheit ist nicht tot, wie Wera bald erfahren muss: Auch im 21. Jahrhundert sind in Cambridge die Geheimdienste aus Ost und West so aktiv wie zu Zeiten des Kalten Krieges.
Inspiriert zu dem Roman habe sie unter anderem ihre Studentenzeit im Cambridge, sagt Karina Urbach. „Ich fand es faszinierend, durch die gleichen Straßen zu gehen wie Kim Philby und genau wie er die Chance zu bekommen, hier zu studieren.“ Bis heute rede man in der Universitätsstadt vom „Verrat“ der Cambridge Five, von denen der überzeugte Kommunist Philby der unsympathischste und gefährlichste gewesen sei. „Sein soziales Bewusstsein war bewundernswert. Er wollte das Leben der Arbeiter verändern. Aber seine Methoden waren schrecklich, und sein Idealismus führte in die vollkommen falsche Richtung.“
Petra Pluwatsch
Hannah Coler: „Cambridge 5 – Zeit der Verräter“, Limes, 418 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 15,99 Euro.
Lesung mit Hannah Coler am 24. 10. 2018 um 19.30 Uhr in Köln-Nippes im Buchladen Neusser Straße. Moderation: Antje Deistler.