
Fotos: Bücheratlas
Warum schreibt einer Krimis über solche Dinge? Über die Kriegsverbrechen im Jugoslawien-Krieg? Über Waffengeschäfte in Afrika und Landaufkäufe in Rumänien? „Aus persönlicher Empörung“, sagt Oliver Bottini, als sei das die selbstverständlichste Antwort der Welt. „Mich muss ein Thema empören, damit ich darüber schreiben kann.“ Was Deutschlands bekanntesten Politkrimi-Autor ebenfalls schwer in Wallung bringen, sprich: als Steilvorlage für ein Buch dienen kann: „Das Gefühl, dass mir etwas nicht richtig oder nur sehr einseitig vermittelt wird. Mir reicht es nicht, wenn mir jemand erzählt, was irgendwo in der Welt passiert sein soll. Ich will nicht nur seine Sicht der Dinge hören. Ich will die ganze Geschichte erfahren.“
Wir sitzen in der Bar eines Frankfurter Nobelhotels. Bis zum Hauptbahnhof sind es nur ein paar Schritte. Bis zu Bottinis Fitness-Studio, in dem der 53-Jährige nach dem Interview trainieren wird, ebenfalls. Doch erst einmal spricht der Mann, der sich selber einen Wahrheitsfanatiker nennt, über das, was ihn – rein beruflich gesehen – am meisten beschäftigt: die Probleme dieser Welt und was er daraus machen kann.
Neun Kriminalromane und drei Sachbücher hat der ehemalige Lektor und Krimipreisträger des Jahres 2018 seit 2004 „aus Empörung“ veröffentlicht. Das jüngste Werk ist der Politthriller „Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“. Bottini entführt seine Leser darin in das moderne Rumänien, wo internationale Großkonzerne den Kleinbauern für wenig Geld wertvolles Ackerland abschwatzen und die Parzellen in riesige Anbauflächen umwandeln. „Landgrabbing“ – Landaneignung – nennt man das weltweite Phänomen, das bereits Millionen Bauern ihren Besitz gekostet hat. „Ich finde das skandalös“, sagt Bottini. „Man nimmt keinerlei Rücksicht auf die Menschen, die dort leben. Die Landschaft wird verschandelt. Man leitet ganze Flüsse um, nur damit die Großkonzerne genug Wasser haben.“
Bottini recherchierte in Rumänien und Ostdeutschland, wo nach der Wende ebenfalls Ackerland im großen Stil verkauft wurde. Dabei herausgekommen ist ein spannender Thriller um den Mord an einer jungen Deutschen in Rumänien, die im Kampf um weiteres Land zu Tode kommt. Beauftragt mit der Aufklärung ist ein abgehalfterter rumänischer Kommissar, der seinerzeit zu den Folterknechten des Ceausescu-Regimes gehörte.
„Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens“ ist Bottinis dritter „Stand alone“-Krimi, wie man einen Roman ohne Fortsetzung nennt. 2012 erschien „Der kalte Traum“, ein Politthriller über die kroatischen Kriegsverbrechen während des Jugoslawien-Kriegs. Bottini kam damit auf Platz drei beim Deutschen Krimi Preis. Man habe, sagt er, immer nur über die Gräueltaten der Serben gesprochen. „Mich hat die andere Seite der Medaille interessiert.“ 2014 folgte „Ein paar Tage Licht“, in dem deutsche Waffenlieferungen nach Algerien thematisiert werden. Auch dafür wurde er mit einem Preis geehrt.
„Herausforderungen“ nennt Bottini Bücher wie diese. Herausforderungen, die zu schreiben ihm einen Heidenspaß macht. „Ich kann auf mehreren Zeitebenen arbeiten, aus wechselnden Perspektiven erzählen und sehr viel komplexere Themen aufgreifen als in einer Serie.“ Bis zu acht Monate braucht er für die Recherche im Netz und später vor Ort. Alles Weitere, sagt er, ergebe sich. „Ich muss immer erst Wissen ansammeln, ehe sich allmählich eine Handlung herauskristallisiert und die Figuren kommen.“
2004 ist Bottinis erster Kriminalroman erschienen: „Mord im Zeichen des Zen“ – ein Zufallswurf, der nicht geplant war. Eine befreundete Lektorin habe ihn gefragt, ob er Lust habe, sich an einem Krimi zu versuchen. Da war gerade sein erstes Sachbuch über Zen-Buddhismus auf den Markt gekommen, eine Fortsetzung war in Arbeit. „Sie fand, Zen-Buddhismus und Krimi seien eine reizvolle Paarung.“ Also habe er den Versuch gewagt. Inzwischen ist die Reihe auf sechs Bände angewachsen. Im Zentrum des Geschehens: Louise Bonì, Hauptkommissarin bei der Kripo Freiburg, eine schwierige Frau mit einem Alkoholproblem.
Er habe sich damals bewusst für eine weibliche statt für eine männliche Figur entschieden, sagt Bottini. „Auf diese Weise kann ich mehr Gesellschaftskritik an den herrschenden Zuständen oder feministisch-emanzipatorische Gedanken in die Geschichte einfließen lassen.“ Auch in seiner Krimireihe greift Bottini auf, was ihn im wahren Leben umtreibt: das Erstarken der Rechtsradikalen in Deutschland, Rassismus, internationaler Waffenhandel. „Es gibt Themen, denen man sich als Autor nicht entziehen kann.“
Inzwischen, gibt Bottini zu, sei seine Figur weitgehend ausgereizt. „Ich habe alles mit ihr gemacht, was man machen kann, ohne sich zu wiederholen.“ Einen, höchstens zwei Bonì-Bände werde er noch schreiben. „Aber mit großen Abständen.“ Bereits nach dem vierten Band habe er Lust gehabt, etwas Neues auszuprobieren. Nach dem fünften schickte er Bonì in eine fünfjährige Zwangspause und schrieb „Der kalte Traum“.
Eine letzte Frage noch, ehe der Autor ins Fitnessstudio eilt. Was er mit seinen Krimis bewirken wolle? „Informationen nachreichen und den Menschen etwas erzählen, was sie noch nicht wissen, damit sie sich ein Gesamtbild machen können.“ Nichts anderes haben wir erwartet.
Petra Pluwatsch
Oliver Bottini: „Der Tod im stillen Winkel des Lebens“, DuMont, 418 Seiten, 22 Euro. E-Book: 17,99 Euro.