
Bei dieser Hitze rennt auch kein japanisches Wildtier mehr davon, wenn sich so eine komische Kamera nähert. Foto: Bücheratlas
Der Sommer hat es in diesem Jahr auf der Nordhalbkugel in sich. Auch in Japan. Dort jammert man allerdings lyrischer als bei uns. Seit langem schon. Vielfältige Klagen über die Hitze entnehmen wir dem „Buch der klassischen Haiku“ aus dem Reclam-Verlag. In 17 Silben, mit denen diese Augenblicks-Beobachtungen in drei Zeilen in aller Regel auskommen müssen, wird der Sommer in vielen Facetten buchstabiert – nicht zuletzt geht es dort immer wieder um die Hitze.
Glutheiß der Mittag
Und vom Pirol am Bach nun
Auch nicht ein Laut mehr.
So pointiert bringt der Japaner Issa (1763–1827) die lähmende Temperatur auf den Punkt. Doch wollen wir hier mal kurz für Abkühlung sorgen und Issa zu einem zweiten Auftritt bitten:
Ach, diese Kühle,
Sie ist zum Paradiese
Die Eingangspforte.
Hat’s geholfen? War ja nur ein Versuch. Haiku, einst aus dem fünfzeiligen Tanka hervorgegangen, sind in Japan überaus beliebt. Das Verfassen eines solchen Gedichts, das als kürzestes der Welt gilt, ist kein Fall für wenige Literaten, sondern ein Volkssport. So jedenfalls stellt es Jan Ulenbrook im ausführlichen Nachwort zu seinen Übersetzungen dar. Er vermutet, dass jährlich eine Million Haiku veröffentlicht werden, die meisten davon in einem der vielen einschlägigen Magazinen. Da darf man dankbar sein, wenn einem eine Auswahl wie diese beschert wird. Es handelt sich nach Verlagsangaben um „die umfangreichste jemals in deutscher Sprache veröffentlichte Haiku-Anthologie“. Und wenn dann bald wieder Kühle und Regen dominieren, schlagen wir schnell nach, was von den Haiku-Meistern so alles über die Sommerfreuden gedichtet worden ist.
Martin Oehlen
„Das Buch der klassischen Haiku“, herausgegeben, übersetzt und mit einem Nachwort versehen von Jan Ulenbrook, Reclam, 320 Seiten, 16 Euro.