
Mit T. Coraghessan Boyle, dem amerikanischen Meistererzähler, sind wir schon in viele spektakuläre Umlaufbahnen geraten. Wir waren im Herzen Afrikas und am Ende der Welt, begegneten dem Architekten Frank Lloyd Wright, dem Cornflakes-König Kellogg und „Dr. Sex“ Kinsey, haben einiges über Einwanderer, Umweltschützer und Primatenforscher, über Hippies und Drogen erfahren. Im Vergleich zu diesen weit gespannten Geschichten wirkt sein neuer, wenn wir richtig gezählt haben nunmehr 19. Roman wie ein Kammerspiel: „No Way Home“.
„Sie ist Gift“
Der Roman liegt schon jetzt auf Deutsch vor und erscheint erst im kommenden Jahr auf Englisch, dies dann ebenfalls im Hanser Verlag. Erzählt wird darin die Geschichte des Assistenzarztes Terrence aus Kalifornien und des Lehrers, Motorradfans, Möchtegern-Romanciers und Kraftpakets Jesse aus Nevada, die beide in Bethany verknallt sind. Da mag sein, was will: Sobald die attraktive Frau in Sichtweite ist, drehen bei den höchst unterschiedlichen Männern die Hormone durch.
Aber Obacht! Gleich zu Beginn, als Terrence noch nicht einmal den Namen der Frau im türkisen Minirock kennt, dämmert es ihm: „Irgendwas war mit ihr, irgendwas ließ tief in seinem klinischen Hirn, das ihn ohne größere Fehler durchs Studium und seine bisherige Zeit als Assistenzarzt gebracht hatte, die Alarmglocken läuten …“ Dann spricht sogar Jesse eine Warnung aus. Als sich die beiden Männer das erste Mal begegnen, sagt er: „Sie ist Gift. Das weißt du noch nicht, aber du wirst es bald herausfinden.“
„Wie du mir, so ich dir“
Auch Bethany kann sich von keinem der beiden so recht lösen. Zwar hat sie sich von Jesse getrennt und bei Terrence eingenistet – nämlich in dem Haus seiner gerade verstorbenen Mutter in Boulder City in der Nähe von Las Vegas. Zudem wird Jesse gerichtlich verboten, sich Bethany zu nähern. Doch voneinander lassen können sie nicht. Gleichwohl mag Bethany ebenso Terrence, und das nicht nur, weil er diese Immobilie geerbt hat. Die Frau nutzt den Unterschlupf offensiv, ja, geradezu übergriffig. Terrence ist darüber mehrfach empört. Aber dann betrachtet er Bethany wieder mal etwas genauer – und der Ärger verflüchtigt sich.
Der Konflikt zwischen Terrence und Jesse eskaliert gleichsam zwangsläufig. Er entwickelt sich nach dem Motto: „Wie du mir, so ich dir“. Stationäre Krankenhausaufenthalte inklusive.
„Wie die Sohle eines alten Joggingschuhs“
T. Coraghessan Boyle erzählt das Psychodrama mit all seiner Routine aus mehr als vier Jahrzehnten kreativen Schreibens. Weiterhin unterhaltsam ist sein Hang zu amüsanten Metaphern. Terrence, dem Städter aus Los Angeles, kommt die Wüste von Nevada vor „wie die Sohle eines alten Joggingschuhs: nichts als Dreck und abgewetztes Profil“. Nicht minder vertraut sind die detaillierten Beschreibungen dessen, was die Leute am Leib tragen oder was sie vor sich auf dem Teller haben. Auch liegt es nahe, den Roman aus drei Perspektiven zu erzählen – aus denen von Terrence, Jesse und Bethany. Schließlich gibt es nicht zu mosern an der psychologischen Durchdringung der Charaktere.
Gleichwohl müssen wir hier einmal kurz auf hohem Niveau seufzen: die Spannungskurve hängt zuweilen durch. Denn ist man erst einmal vertraut mit der Figuren-Konstellation, gibt es nicht mehr allzu viele Überraschungen. Diesmal wird das Psycho-Rodeo, das in allen Boyle-Romanen geboten wird, nicht von einem Meta-Thema (Klima, Drogen, Kolonialismus etc.) ergänzt und gestützt. By the way: Wer womöglich darauf gehofft hatte, dass dieser Roman die Schockwellen der Ära Trump spiegelt, hat vergeblich gehofft. Nur einmal blitzt ein Hinweis in einem eingeklammerten Satz auf. Da wird zusammengefasst, was gerade im Radio zu hören war: „das Land gespalten, die Barbaren vor den Toren.“
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir schon einige Bücher von T. Coraghessan Boyle besprochen: „I Walk Between the Raindrops“ (HIER), „Blue Skies“ (HIER), „Sprich mit mir“ (HIER) und „Das Licht“ (HIER).
T. Coraghessan Boyle: „No Way Home“, deutsch von Dirk van Gunsteren, Hanser, 382 seiten, 28 Euro. E-Book: 20,99 Euro.
