
Die Absage war eindeutig, aber doch mit einer Perspektive verbunden. Als Rolf Dieter Brinkmann im Alter von 17 Jahren einige Gedichte, versehen mit einem selbstbewussten Anschreiben, der Literaturzeitschrift „Akzente“ anbot, antwortete ihm Hans Bender (1919-2015) als einer der beiden Herausgeber: „Wenn Sie weiter arbeiten, viel lesen und sich umsehen, wird es eines Tages schon so weit sein. Ihre wenigen Verse zeigen, dass Sie gut beobachten können und Formgefühl haben.“ Es folgten noch viele weitere Briefe, in denen Rolf Dieter Brinkmann seine Kunst zum Abdruck anbot. Doch erst elf Jahre später erschienen Gedichte von ihm in einem Band der renommierten Literaturzeitschrift.
„Jeder Termin ist eine Enthauptung“
Nachzulesen sind die Etappen dieser Annäherung in einer Betrachtung von Hans Bender aus dem Jahr 1995. Sie ist nun enthalten in einem Band, der zehn Jahre nach seinem Tod in Köln, seiner Wahlheimat, im Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner erscheint. Horst Bürger und Walter Hörner sind die Herausgeber. Der eine war Mitarbeiter von Hans Bender bei einigen Anthologien und arbeitete eine Weile im Büro der „Akzente“; der andere wirkte einst beim Rimbaud Verlag, in dem die Werke des Autors erschienen sind. Beide haben bereits eine Anthologie mit Italien-Texten von Hans Bender an gleicher Stelle veröffentlicht (einen Beitrag dazu gibt es HIER).
Auch diesmal haben die Herausgeber ein reichhaltiges und vielseitiges Lesebuch zusammengestellt. Das beginnt mit einem französisch-deutschen Autorentreffen in Paris im Nachkriegsjahr 1953, in dem zum gemeinsamen Gespräch aufgerufen wird. Und es endet mit persönlichen Erinnerungen an Thomas Bernhard, bei dem Hans Bender vergebens um Beiträge für die „Akzente“ warb. In Thomas Bernhards letztem Brief nach Köln steht der Satz: „Jeder Termin ist eine Enthauptung.“
„Die Lyrik muss Mut machen“
Der Band „Zeitverwandtschaft“ ist eine Zeitreise in die jüngere Literaturgeschichte mit Hans Bender als ortskundigem und trittsicherem Reiseleiter. Die Texte aus einem halben Jahrhundert zeigen einen immer verbindlichen Kritiker, der gleichwohl ein klares Urteil nicht scheute. Viel Wert legte er auf die Beschreibung dessen, was in dem jeweiligen Buch zu finden ist. Die hymnische Anrufung, der grelle Verriss – das war, wenn wir der vorliegenden Auswahl folgen, seine Sache nicht. Inhalt und Form hatten bei ihm immer Bodenhaftung. Das Verstiegene, das Abgehobene, die akademische Hochrüstung kommen bei ihm nicht vor. Seine literaturkritischen Beiträge bleiben nahbar. Auch neigte er nicht zu ausschweifender Besprechung, sondern zur konzentrierten Darstellung – die er ja auch in seiner Lyrik pflegte.
Mit der Lyrik hat er sich immer wieder befasst. 1981 nahm er sich gar die Entwicklung der Gattung seit 1945 in der Bundesrepublik vor. Da schreibt er: „Gedichte der Gegenwart“ – also der 1970er und 1980er Jahre – „scheinen uns wirkungsreicher zu sein und dem Leser näher zu kommen als Gedichte früher, weil sie die Wirklichkeit nicht fliehen, sondern, im Gegenteil, aus der Reibung mit ihr gezeugt werden. Weil sie wieder realistische Grundhaltungen einnehmen. Weil sie verständlicher sind und von dem sprechen, was viele kennen und ertragen.“ Zustimmend zitiert er Jürgen Theobaldy: „Die Lyrik muss Mut machen, Kraft geben, wenn wir lädiert vom Handgemenge nach Hause kommen oder gar nicht erst aus dem Haus gehen können.“
„Die Stadt wird ihm dafür wohl keinen Preis verleihen“
Hans Bender würdigt bekannte und weniger bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Zum einen beispielsweise Thomas Mann und Dylan Thomas, Ricarda Huch und Katherine Mansfield. Und das sind nur einige von vielen. Zum anderen widmete er sich solchen Kolleginnen und Kollegen, die längst nicht mehr in aller Munde sind – wie Armin T. Wegner, Ferdinand Lion, Werner Koch und anderen mehr.
Dass Hans Bender ein Gespür für Qualität hatte, bewies er nicht nur bei Rolf Dieter Brinkmann. Zum Tode von Christine Lavant schrieb er 1975: „Sie bog und brach die Sprache, sie entstellte und verzauberte sie.“ Gleichwohl musste er damals feststellen, dass es „nur Ansätze zu ihrer Interpretation“ gebe, „bis heute“. Mittlerweile, 50 Jahre später, ist das Werk der Österreicherin vielfach beleuchtet worden und liegt in schönen Editionen vor. Und Arnold Stadlers Prosadebüt „Ich war einmal“ lobte er 1989 als einen Heimatroman, der freilich kein freundlicher sei: „Die Stadt, wo er spielt, wird ihm dafür wohl keinen Preis verleihen!“ Heute wissen wir mehr. Einen lokalen Preis hat es nicht gegeben, aber seit 2019 ist Arnold Stadler Ehrenbürger von Meßkirch.
„Viele, viele Freunde“
Hans Bender, so scheint es, war immer dabei. Wo er sich aufhielt, war Literatur im Spiel, und wo Literatur im Spiel war, war er nicht weit. Als Schriftsteller, Herausgeber und Juror, als Ratgeber, Rezensent und Redner hat er einen ganz eigenen Ruf gewonnen.
Was er einst in einem Nachruf über den Verleger VauO Stomps sagte, gilt auch für ihn selbst: „Er hatte keinen Feind, doch viele, viele Freunde.“
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir die Italien-Anthologie „Erlebnis der Wiederkehr“ mit Texten von Hans Bender HIER besprochen.
Über die Gedenkfeier zum 100. Geburtstag von Hans Bender – unter anderem mit Arnold Stadler – haben wir HIER berichtet.
Hans Bender: „Zeitverwandtschaft – Ein halbes Jahrhundert Literatur in Essays, Rezensionen, Würdigungen 1953-2003“, hrsg. von Horst Bürger und Walter Hörner, mit einem Vorwort von Hans Georg Schwark, Verlag der Buchhandlung Klaus Bittner, 408 Seiten, 30 Euro.
