
Mittlerweile wissen wir Bescheid: Wo Seishi Yokomizo (1902-1981) draufsteht, ist angenehm Vertracktes drin. Der japanische Autor, der ein bekennender Agatha-Christie-Fan war, gibt sich nicht mit einem schlicht gestrickten Plot zufrieden. Da geht es um viele Ecken und zu vielen losen Enden. Zum Finale aber fällt es uns wie Schuppen von den Augen – nur so konnte es gewesen sein.
Ankunft in den kalten Bergen
„Das Dorf der acht Gräber“ ist der dritte Kriminalroman von Seishi Yokomizo, den Ursula Gräfe ins Deutsche übertragen hat. Im Original ist er bereits im Jahre 1971 veröffentlicht worden. Das Personenregister gleich zu Beginn des Romans ist sehr willkommen, denn viele Personen mischen mit bei der Mordserie in der japanischen Provinz. Die Ereignisse eskalieren in der Neuzeit, doch haben ihre Vorgeschichte in der „Zeit der Streitenden“ Reiche, rund vier Jahrhunderte zuvor.
Wieder ist der kauzige Ermittler Kosuke Kindaichi im Einsatz. Doch erzählt wird die Geschichte von Tatsuya Terada, der selbst zum Hauptverdächtigen mutiert. So viel darf verraten werden: er ist nicht der Täter. Auch hatte er nie die Absicht gehabt, sich dem Dorf Acht Gräber zu nähern. Doch dann erreicht ihn die Nachricht von einer Erbschaft. Eher widerstrebend macht er sich auf die Reise. Mit seiner Ankunft in „den kalten Bergen“ geht der Ärger los. Um mit den Worten von Tatsuya Terada zu sprechen: Er „betrat die Welt der Angst und des Schreckens.“
„Ich besitze dieses Talent nicht“
Doch keine Sorge! Hier ist die Krimiwelt noch von kuscheliger Beschaulichkeit. Geboten wird entspannende Spannungsliteratur. Die Gewalt, von der die Geschichte geprägt wird, ist in aller Zurückhaltung beschrieben. Seishi Yokomizo legt keinen Wert darauf, sich an ihren Details zu delektieren. Vielmehr ist er erpicht, die Intensität der Ereignisse hochzuhalten und die Spekulationen anzutreiben. Es gibt viel Gift, dunkle Geheimgänge und einen Goldschatz, der an der Decke klebt. Auch ein bestens konservierter Leichnam in einer Rüstung ist dabei. Kein Wunder, dass die Mitwirkenden mehr als einmal „kreidebleich“ aussehen.
Ein vertrauter Spaß ist es, dass der Ich-Erzähler seinen Text kommentiert. Dabei stellt er sein Licht keck unter den Scheffel: „Wäre ich Schriftsteller, hätte ich die folgende Szene zum ersten Höhepunkt meiner Geschichte machen können. Aber ich besitze dieses Talent nicht, und Tatsache ist, dass der Vorfall, so schrecklich er auch gewesen sein mag, oberflächlich betrachtet ziemlich schnell vorbei war.“
Ende mit Zugabe
Sobald der Fall aufgeklärt ist, ist der Roman noch nicht beendet. Wie eine Rockband, die nach dem scheinbar letzten Song noch eine Zugabe nach der anderen anbietet, kann auch Seishi Yokomizo vom Erzählen nicht lassen. So folgen unter dem Titel „Was danach geschah“ gleich drei Kapitel. Und weil das auch noch nicht aller Seiten Ende sein soll, beschließt ein Epilog „Das Dorf der acht Gräber“. Erst dann fällt der Vorhang. Applaus.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir Seishi Yokomizos Kriminalromane, die in der Übersetzung von Ursula Gräfe auf Deutsch vorliegen, besprochen: „Die rätselhaften Honjin-Morde“ (HIER) und „Mord auf der Insel Gokumon“ (HIER).
Seishi Yokomizo: „Das Dorf der acht Gräber“, deutsch von Ursula Gräfe, Blumenbar Verlag, 340 Seiten, 22 Euro. E-Book: 12,99 Euro.
