„Der Wunschzug ist abgefahren“: Friedrich Ani, sein Privatdetektiv Tabor Süden und der neue Kriminalroman „Lichtjahre im Dunkel“

Foto: Bücheratlas

Leo Ahorn ist verschwunden. Leo Ahorn, der verkrachte Schreibwarenhändler, ein fahlgesichtiger Mann in einer beigefarbenen Hose und einem grauen Hemd. Die abgelatschten Slipper trägt er – seine einzige Extravaganz – ohne Socken. Seit Mittwoch sei er nicht mehr aufgetaucht, erzählt Ehefrau Viola dem Privatermittler Tabor Süden. Eine Lüge, wie sich herausstellt.

Volltrunken im „Blauen Eck“

Leo Ahorn ist Montagnacht ein letztes Mal aus der Tür seiner Stammkneipe „Im Blauen Eck“ gewankt, volltrunken und aggressiv bis in die Haarspitzen. Viola Ahorn, eine freudlose Anfang-Vierzigerin, scheint das Verschwinden ihres Partners gleichgültig zu sein. Der Schreibwarenladen, von den Schwiegereltern geerbt, gammelt dem Bankrott entgegen. Der Kerl in der beigefarbenen Hose, der sich ihr Ehemann nennt, sei ein Feigling, erklärt sie Süden. „Manchmal wünscht ich, er käm gar nicht mehr nach Hause. So schlimm ist das. Ich will so zwar nicht denken und denk‘s trotzdem“.      

Willkommen in der Welt des Friedrich Ani, die so kalt und leer und grau ist wie nebliger Novembermorgen. Wer dort lebt, hat die Hoffnung auf einen sonnigen Tag längst aufgegeben. „Der Wunschzug ist abgefahren“, erklärt Viola Ahorn dem schweigsamen Privatdetektiv, der ihren Mann finden soll. Und fragt sich: „Was, wenn sie längst innerlich abgestorben war? Wenn ihre Vorstellungen von einer scheinbar immer noch erlaubten Zukunft aus reinen Hirngespinsten bestanden?“ Tabor Süden ist selber ein Kriegsversehrter des Lebens, und so kann auch er ihr diese Fragen nicht beantworten.

Ein Mann, der nicht viele Worte macht

„Lichtjahre im Dunkel“ ist der 23. Fall des ehemaligen Kommissars, der in die Niederungen der privaten Ermittler abgerutscht ist. Noch immer ist er der einsame Trinker in dem blütenweißen Oberhemd, ein Menschen-Versteher, der nicht viele Worte macht. Er weiß, warum Männer wie Leo Ahorn eines Nachts abhauen und ihr altes Leben hinter sich lassen wollen. Warum eine Frau wie Viola Ahorn an sich selbst, an ihrer Ehe, an ihrem ganzen verpfuschten Dasein verzweifelt. Und doch scheitert er bei seinen Ermittlungen.

Denn Leo Ahorn ist beileibe nicht aus freien Stücken verschwunden. Nach mehr als einer Woche wird aus der „Vermissung“ ein Mordfall, und Süden ist raus aus der Geschichte. Die Ermittlungen übernimmt Oberkommissarin Fariza Nasri, die wir bereits aus „All die unbewohnten Zimmer kennen“.

Die Spur des bleichen Fremden

Bald verdichtet sich der Verdacht, dass Leo Ahorns Nachbar und Trinkkumpan Georg Kramer etwas mit dessen Verschwinden zu tun haben könnte. Angeblich hatte er Ahorn zugesagt, ihm 50.000 Euro zu leihen, ein Versprechen, das er nie eingelöst hat. Sind die beiden betrunkenen Männer deswegen in der fraglichen Nacht in Streit geraten? Und wer ist der bleiche Fremde, der eines Abends im „Blauen Eck“ auftaucht und dem Georg Kramer einige Nächte später unter merkwürdigen Umständen wiederbegegnen wird?

Wie immer sind Friedrich Anis Schilderungen von einer beneidenswerten sprachlichen Brillanz. Da weiß einer mit Sprache umzugehen wie kaum ein anderer Kriminalschriftsteller im deutschsprachigen Raum. Ob innerer Monolog, ob Dialog, ob Landschaftsbeschreibung – jedes Wort sitzt. Inhaltlich wirkt der Roman gegen Ende etwas zerfahren. Doch wer klare Lösungen bevorzugt, der ist bei Friedrich Ani ohnehin falsch. Und das ist gut so.

Petra Pluwatsch

Auf diesem Blog

haben wir diese Friedrich-Ani-Bücher besprochen: „Der Narr und seine Maschine“ (HIER), „All die unbewohnten Zimmer“ (HIER) und zuletzt „Letzte Ehre“ (HIER).

Lesungen

aus „Lichtjahre im Dunkel“ mit Friederich Ani gibt es auf der Leipziger Buchmesse am 21. und 22. März 2024 sowie beim Münchner Krimifestival am 10. April 2024 im Literaturhaus München.

Friedrich Ani: „Lichtjahre im Dunkel“, Suhrkamp, 448 Seiten, 25 Euro. E-Book: 21,99 Euro.

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