
Am Tatort München wird auch das eine oder andere lokale Getränk konsumiert. Foto: Bücheratlas
Das Projekt ist ehrgeizig, das Ergebnis – um kurz vorzugreifen – höchst gelungen: In seinem jüngsten Buch „All die unbewohnten Zimmer“ lässt Friedrich Ani, Deutschlands wohl wortmächtigster und bekanntester Krimiautor, gleich drei seiner Serienhelden gemeinsam antreten. Der Ex-Mönch Polonius Fischer, Hauptfigur in drei von Anis mehr als 30 Kriminalromanen, ermittelt Seite an Seite mit Vermisstenfahnder Tabor Süden (21 Bände) und Jacob Franck (zwei Bände), dem Mann, der Tote sehen kann. Dazwischen: Ermittlerin Fariza Nasri, deren Vater – wie der von Ani selbst – aus Syrien stammt.
Der Fall, in den das ungleiche Quartett hineingezogen wird, ist verzwickt. Ein Streifenpolizist wurde im Dienst erschlagen. Am Tatort, einer schmalen Straße in Münchens Innenstadt, findet sich ein Steinbrocken mit seinem Blut daran. Vom Täter keine Spur. Doch warum hat Philipp Werneck, ein Mann von unberechenbarem Charakter, überhaupt den Streifenwagen verlassen? Noch dazu, ohne die Zentrale über seinen Alleingang zu informieren? Und warum ist ihm sein Freund und Kollege Tim Gordon nicht gefolgt, wie es seine Pflicht als zweiter Mann im Wagen gewesen wäre?
Polonius Fischer, Leiter des legendären Kommissariats K111, und seine „zwölf Apostel“ stehen vor einem Rätsel. Wochenlang treten die Ermittlungen auf der Stelle, während die Presse und rechtsradikale Volksverführer gegen die „tatenlose Polizei“ und die „ohnmächtige Staatsmacht“ hetzen.
Anis Ermittlungsort München ist eine hässliche, eine zutiefst verunsicherte Stadt, bevölkert von Menschen, die ihren Lebenskompass längst verloren haben. Der abgehalfterte Alleinunterhalter Jerry Soltau ist so ein Mensch, ein aus der Zeit Gefallener, der orientierungslos durch die Straßen irrt und schließlich eine Tat gesteht, die er nicht begangen haben kann. Oder Ralph Werneck, der Vater des Toten. Verbittert schreit er an gegen eine Politik, die all diejenigen pampere, „die hier reinkommen, auf der faulen Haut liegen und den Staat ausnehmen wie eine Weihnachtsgans“. Während die „Staatspolizei“ und die „Politbonzen“ tatenlos zuschauten.
Und auch die drei Ermittler sind nicht frei von Beschädigungen, allen voran Tabor Süden, Anis erste und erfolgreichste Serienfigur. 1998 erschien mit „Die Erfindung des Abschieds“ der erste Band der Süden-Reihe. Inzwischen ist aus dem ehemaligen Münchner Kriminalkommissar ein versoffener Privatermittler geworden, der in einer abgeranzten Absteige seine Wunden leckt. Stundenlang streift er mit einer Zufallsbekanntschaft durch die Stadt, ein „geselliger Einzelgänger“, der noch immer einem längst verstorbenen Freund nachtrauert. Als Soltaus Lebensgefährtin ihn bittet, nach dem verschwundenen Alleinunterhalter zu suchen, rutscht er eher missmutig hinein in die Ermittlungen zum Fall Werneck.
„All die unbewohnten Zimmer“ ist ein Roman der Zufälligkeiten, an dessen Ende sich alles zu einem stimmigen Ganzen fügt. Das ist ganz große Erzählkunst, wie sie nur einer wie Friedrich Ani beherrscht. Sämtliche Erzählstränge, so entbehrlich der ein oder andere auf den ersten Blick erscheinen mag, laufen auf ein Finale zu, die so herzbeklemmend traurig ist, dass man weinen möchte.
Wohl noch nie war Anis Welt so kalt und so hoffnungslos düster wie in diesem Roman. „All die unbewohnten Zimmer“ zeichnet das Sittenbild eines Landes, das seiner vielfältigen Probleme nicht mehr Herr wird und Gefahr läuft, seine Bürgerinnen und Bürger in die politische wie seelische Unbehaustheit zu treiben.
Petra Pluwatsch
Friedrich Ani: „All die unbewohnten Zimmer“, Suhrkamp, 494 Seiten, 22 Euro, E-Book 18,99 Euro.