Friedrich Ani schickt gleich vier Ermittler in die Schattenwelt von München

Joa K_Geb_Jul 14 2015-119 (2)

Am Tatort München wird auch das eine oder andere lokale Getränk konsumiert. Foto: Bücheratlas

Das Projekt ist ehrgeizig, das  Ergebnis  – um kurz vorzugreifen – höchst gelungen: In seinem jüngsten Buch „All die unbewohnten Zimmer“ lässt Friedrich Ani, Deutschlands wohl  wortmächtigster und bekanntester Krimiautor, gleich drei seiner  Serienhelden  gemeinsam antreten. Der Ex-Mönch Polonius Fischer,  Hauptfigur in drei von  Anis mehr als 30 Kriminalromanen,  ermittelt  Seite an Seite mit   Vermisstenfahnder Tabor Süden (21 Bände) und Jacob Franck (zwei Bände), dem Mann, der Tote  sehen kann.  Dazwischen: Ermittlerin Fariza Nasri,  deren Vater   – wie der von Ani selbst – aus Syrien stammt.

Der Fall,  in den das ungleiche  Quartett  hineingezogen wird,  ist verzwickt. Ein Streifenpolizist wurde im Dienst erschlagen. Am Tatort, einer schmalen Straße in Münchens Innenstadt, findet sich ein Steinbrocken  mit seinem Blut daran. Vom Täter keine Spur. Doch warum hat Philipp Werneck, ein Mann  von unberechenbarem Charakter, überhaupt den Streifenwagen verlassen? Noch dazu, ohne die Zentrale  über seinen Alleingang zu informieren? Und warum ist ihm sein Freund und Kollege Tim Gordon nicht gefolgt, wie es seine Pflicht  als zweiter Mann im Wagen gewesen wäre?

Polonius Fischer, Leiter des legendären Kommissariats K111,  und seine  „zwölf Apostel“ stehen vor einem Rätsel. Wochenlang treten die Ermittlungen auf der Stelle, während die Presse und rechtsradikale   Volksverführer  gegen   die „tatenlose Polizei“ und die „ohnmächtige Staatsmacht“ hetzen.

Anis Ermittlungsort München ist eine hässliche, eine zutiefst verunsicherte Stadt, bevölkert von  Menschen, die ihren Lebenskompass längst verloren haben. Der abgehalfterte Alleinunterhalter Jerry Soltau ist so ein Mensch, ein  aus der Zeit Gefallener, der orientierungslos  durch die Straßen irrt und schließlich eine Tat gesteht, die er nicht begangen  haben kann. Oder Ralph Werneck, der Vater des Toten. Verbittert   schreit  er an gegen eine Politik, die  all diejenigen pampere, „die hier reinkommen, auf der faulen Haut liegen und den Staat ausnehmen wie eine Weihnachtsgans“. Während die „Staatspolizei“ und die „Politbonzen“ tatenlos zuschauten.

Und auch die drei Ermittler sind nicht frei von Beschädigungen, allen voran Tabor Süden, Anis erste und erfolgreichste Serienfigur. 1998 erschien mit „Die Erfindung des Abschieds“ der erste Band der Süden-Reihe. Inzwischen ist aus dem   ehemaligen Münchner Kriminalkommissar ein versoffener Privatermittler geworden, der in einer abgeranzten Absteige seine Wunden leckt. Stundenlang streift er  mit einer Zufallsbekanntschaft  durch die Stadt, ein „geselliger Einzelgänger“,  der noch immer einem längst verstorbenen  Freund nachtrauert. Als  Soltaus Lebensgefährtin ihn bittet, nach dem verschwundenen Alleinunterhalter zu suchen, rutscht er eher missmutig  hinein in die Ermittlungen zum Fall Werneck.

„All die unbewohnten Zimmer“  ist ein Roman  der Zufälligkeiten, an dessen Ende sich alles  zu einem  stimmigen Ganzen fügt. Das ist ganz große  Erzählkunst, wie sie nur einer wie Friedrich Ani beherrscht. Sämtliche Erzählstränge, so entbehrlich der ein oder andere  auf den ersten  Blick erscheinen mag, laufen auf ein Finale  zu, die so herzbeklemmend traurig  ist, dass man weinen möchte.

Wohl noch nie war Anis Welt so kalt  und so hoffnungslos düster wie in diesem Roman.  „All die unbewohnten Zimmer“ zeichnet  das Sittenbild eines Landes, das seiner vielfältigen Probleme nicht mehr Herr wird und  Gefahr läuft,   seine Bürgerinnen und Bürger    in die politische wie seelische Unbehaustheit zu treiben.

Petra Pluwatsch

http://www.ksta.de

Friedrich Ani: „All die unbewohnten Zimmer“, Suhrkamp, 494 Seiten, 22 Euro,  E-Book 18,99 Euro.

Ani

 

 

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