
Mit den Worten „Unnütze Kenntnisse“ ist das Schlusskapitel des Handbuchs „Über die Erziehung der Töchter des Mittelstandes“ von 1783 überschrieben. Darin warnt Konrad Friedrich Uden (1754-1823) die jungen Frauen „vor dem langen Sitzen über dem Zeichenblock, da das damit verbundene Zusammenpressen des weiblichen Unterleibs andauernde Blähungen zur Folge“ habe. Der Arzt aus Stendal, später Professor für Pathologie und Therapie in St. Petersburg, traf mit seinem Verdikt den Ton der Zeit: Frauen an den Herd, aber nicht an die Staffelei.
„Aus einem neuen Blickwinkel“
„Geniale Frauen“ ist nun der Titel einer Ausstellung, die an diesem Wochenende im Kunstmuseum Basel eröffnet wird und zuvor im Bucerius Kunst Forum in Hamburg zu sehen war. Sie macht aufmerksam auf bildende Künstlerinnen, die allen Hindernissen zum Trotz erfolgreich waren in Renaissance, Barock und Klassizismus. Dabei wird die Kunstgeschichte der Frühen Neuzeit „aus einem neuen Blickwinkel“ beleuchtet, wie die kooperierenden Kuratoren Bodo Brinkmann, Katrin Dyballa und Ariane Mensger versichern.
Denn hier geht es nicht nur um einige herausragende Malerinnen und Grafikerinnen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, sondern auch um ihre männlichen Weggefährten. Katrin Dyballa schreibt in der Einführung zum materialreichen Katalog, der im Hirmer Verlag erscheint, dass zumal der Einfluss des familiären Umfelds in den Fokus genommen werde. „Denn nicht selten wurden die später selbst professionell tätigen Frauen in einen Künstlerhaushalt hineingeboren und erhielten ihre Ausbildung durch den Vater, Bruder, andere Familienmitglieder oder den (späteren) Ehemann.“ Die Gegenüberstellung mache verständlich, „unter welchen gesellschaftlichen Normen Frauen ihren Weg finden mussten und wie beschwerlich es letztlich für sie war, als Künstlerinnen sichtbar zu werden.“
„Die Natur der Sache“
In der Frühen Neuzeit war den Frauen lange der Zugang zu den Zünften und Akademien, wo die Malerei gelehrt und praktiziert wurde, verwehrt. Als diese Mauer in der Folge der Französischen Revolution bröckelte, blieb es dennoch beim überlieferten Rollenbild und vertrauten Vorurteil. So schrieb der Kunsthistoriker Wilhelm Lübke (1826-1893), Professor in Berlin, Zürich, Stuttgart und Karlsruhe, im Jahre 1826: „Die Natur der Sache weist den Frauen die kleineren Zweige der Malerei zu, beschränkt sie auf ein Stoffgebiet, in welchem es sich nicht um Darlegung eines gedankenvollen Inhalts, sondern um natürliche Schilderung des Gegenständlichen handelt.“ Da denkt der Professor an Landschaft, Tiere und Blumen – und dämpft die Erwartungen: „Doch werden wir uns auch da nach Leistungen ersten Ranges nicht immer mit Erfolg umschauen.“
Da hatte er wohl noch nichts von Katharina van Hemessen (1528 – nach 1565) gehört, der Tochter des flämischen Meisters Jan Sanders van Hemessen (um 1500 – um 1556). Sie schuf im Alter von 20 Jahren „das früheste bekannte Selbstporträt einer Künstlerin bei der Arbeit.“ Das Werk signierte sie auf Lateinisch und in Großbuchstaben und mit einer stolzen Freude, die sich noch heute nachempfinden lässt: „Ich, Katharina van Hemessen, habe mich gemalt 1548, ihres Alters 20.“
„Europa lag ihr zu Füßen“
Die berühmteste Künstlerin, die hier vorgestellt wird, war und ist Angelika Kauffmann (1741-1807). Anders als ihre Kolleginnen der frühen Neuzeit, galt sie schon zu Lebzeiten als eine große Nummer. Bodo Brinkmann schreibt, „dass ihr zeitweilig das gesamte kulturinteressierte Europa zu Füßen lag.“ Bereits im Alter von 12 Jahren malte sie ein Selbstbildnis, das sie als Sängerin mit einem Notenblatt zeigt, denn Musik war ihre zweite große Begabung.
Wer sich nach Basel aufmacht, wird dort auf zahlreiche Künstlerinnen treffen. Zunächst sind es die italienischen Malerinnen Sofonisba Anguissola, Lavinia Fontana, Marietta Robusti gen. Tintoretta und Elisabetta Sirani. Der zweite Raum wartet auf mit „romanischen Stillleben“ von Fede Galizia, Louise Moillon und Anne VallayerCoster. Die Niederlande sind vertreten mit Katharina van Hemessen, Michaelina Wautier und Judith Leyster. Es folgen „nördliche Stillleben“ von Rachel Ruysch, Maria van Oosterwijk, Maria Sibylla Merian und Alida Withoos. Schließlich ein Raum für die Deutschen Katharina Treu und Dorothea Therbusch und die Schweizerinnen Anna Barbara Abesch, Angelika Kauffmann und Anna Waser.
„Gesellschaftlich nicht vorgesehen“
In einem Exkurs geht es dann noch um die Grafikerinnen Diana Mantovana aus Mantua, Magdalena de Passe, tätig in Köln und dann Utrecht, sowie Maria Katharina Prestel aus Nürnberg und später London. Noch mehr Biografien und Werke von Künstlerinnen jener Jahre finden sich im Katalog.
Die zentrale Einsicht der Ausstellung: „Im Norden wie im Süden Europas gab es zwischen 1500 und 1800 weit mehr Malerinnen, Lehrerinnen, Verlegerinnen und Grafikerinnen, als man es vermuten würde.“ Sie waren erfolgreich, obwohl eine entsprechende Karriere „gesellschaftlich nicht vorgesehen und nur unter besonderen Bedingungen“ zu realisieren war. Die Ausstellung zeigt auch, so schreibt es Andreas Tacke im Katalog, „welche Forschungslücken es seitens der Kunstgeschichte immer noch aufzuarbeiten gilt, um die Künstlerinnen der Vormoderne mehr in ein öffentliches Bewusstsein zu rücken.“
Martin Oehlen
Die Ausstellung
„Geniale Frauen – Künstlerinnen und ihre Weggefährten“ ist im Kunstmuseum Basel vom 2. März bis zum 30. Juni 2024 zu sehen. Geöffnet Di-So von 10-18 Uhr, Mi. bis 20 Uhr.
„Geniale Frauen“, herausgegeben von Katrin Dyballa, mit Beiträgen von Bodo Brinkmann, Katrin Dyballa, Sabine Engel, Ariane Mensger, Rahel Müller, Sandra Pisot, Sarah Salomon, Andreas Tacke, Iris Wenderholm und Seraina Werthemann, Hirmer Verlag, 288 Seiten, 45 Euro.

Großartig. Da muss ich mir wenigstens den Katalog besorgen. Danke für den Beitrag!
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Sehr gerne geschehen! Und viel Spaß bei der Katalog-Lektüre – ich jedenfalls habe dabei eine Menge erfahren.
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