
Neue deutsche Literatur aus Köln – die gab es soeben im Literaturhaus Köln. Dort stellten vier Autorinnen und Autoren ihre jüngsten Texte vor. Sie alle sind in der Vergangenheit – neben anderen mehr – in den Genuss des Dieter-Wellershoff-Stipendiums gekommen. Den Auftritt des Quartetts nehmen wir zum Anlass, uns nach dem Stand der Dinge in der Kölner Literaturszene und beim jeweiligen Werk zu erkundigen. Die ersten fünf Fragen beantwortete Thomas Empl (HIER). In alphabetischer Folge geht es nun weiter mit Adrian Kasnitz. Es folgen Gundula Schiffer und Tilman Strasser.
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Eins
Adrian Kasnitz, worum geht es in dem Text „Der Schatten“, für den Sie das Dieter-Wellershoff-Stipendium erhalten haben?
Der Roman ist eine Auseinandersetzung mit Herkunft, Identität und Familiengeschichte. Wider Willen begibt sich der Protagonist auf eine Reise mit seinem kranken Vater zum Haus der Kindheit. Ist es möglich all diese Schichten hinter sich zu lassen oder bleibt etwas wie ein Schatten haften? fragt sich der Protagonist. „Der Schatten“ ist dann auch der Titel des Textes.
Zwei
Wie weit ist das Manuskript vorangeschritten?
Leider viel zu langsam. Ich dachte, ich würde schneller sein, aber es sind viele Sachen dazwischengekommen. Dennoch ist der Text stetig gewachsen und ich hoffe, ihn in näherer Zeit abschließen zu können.
Drei
Sie leiten ja auch den Verlag „parasitenpresse“, der sich intensiv der Lyrik widmet. Wie präsentiert sich der Lesemarkt: Gibt es aktuell eine neue Lust auf Lyrik?
Ich glaube, es gibt eine neue Lust auf Texte, die nicht die gängige Romanform sind. Das können essayhafte Romane sein, Kurzgeschichten oder auch Lyrik. Lyrik ist immer eine besondere Form, weil hier viel experimentiert, verknappt oder intensiv betrachtet wird. So rasant wie unsere Sprache sich verändert, ist das die Textform, um innezuhalten und mit all diesem neuen Material zu arbeiten.
Vier
Was verbinden Sie mit dem Werk von Dieter Wellershoff? Gibt es da Leseerfahrungen?
Am meisten hat mich immer diese doppelte Tätigkeit von Wellershoff als Verlagslektor und Autor interessiert. Das ist ja auch für mich persönlich wichtig. Ich habe ihn ein paar Mal im Literaturhaus erleben dürfen, von der Eröffnung damals im Mediapark bis zu späteren Begegnungen.
Fünf
Wie vital ist Ihrer Ansicht nach die Literaturszene in Köln, wie hat sie sich entwickelt, was fehlt resp. fehlt etwas?
Ich erlebe sie seit einigen Jahren als sehr lebendig, mit vielen verschiedenen Lesungsformaten, Festivals, Zeitschriften, auch wir Kölner Verlage haben einen Anteil daran, so wie die beiden Orte, an denen man Literarisches oder Professionelles Schreiben lernen kann. Natürlich wünschen wir uns noch mehr Literaturorte und -initiativen, mehr soziale Vielfalt, mehr Freiräume, wo auch nicht institutionell angebundene Personen tätig werden können. Als größte Stadt im Westen darf der Anspruch ruhig größer sein. Da gibt es kleinere Städte, die ganz anders im Literaturbereich auftreten, dass man sich hier manchmal die Augen reiben kann. Vieles hängt noch immer an Einzelpersonen oder kleineren Initiativen. Da ist die Gefahr immer groß, dass mit Krankheit, Berufs- oder Ortswechsel auch das Engagement verschwindet.
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Auf diesem Blog
haben wir die Antworten von Thomas Empl HIER veröffentlicht. Es folgen Gundula Schiffer am Sonntag und Tilman Strasser am Montag.
Zur Person
Adrian Kasnitz, 1974 im Ermland geboren und zuhause in Köln, schreibt Lyrik und Prosa. Er gründete 2000 den Verlag parasitenpresse. Von ihm erschien dort zuletzt der Gedichtband „Im Sommer hatte ich eine Umarmung“.
Für sein Romanprojekt „Der Schatten“ erhielt er im Jahre 2020 das Dieter-Wellershoff-Stipendium. In der Jury-Begründung heißt es: „Als der Vater im Sterben liegt, wird der Erzähler mit einer Zeit und Welt konfrontiert, die er gründlich hinter sich gelassen zu haben wähnte: das mühevolle Aufwachsen auf einem abgelegenen Hof in Masuren, die ersten Schritte in ein anderes, eigenes Leben am Rand einer mittelgroßen Stadt in Nordrhein-Westfalen, die zunehmend konfliktbehaftete Beziehung zu seiner Familie. Adrian Kasnitz‘ Text erzählt von der Bedeutung der Herkunft, von Abschied und Aufbruch, Fremdsein und Identität – voll spannungsvoller Ruhe, sinnlicher Intensität und zarter Archaik.“
Der Jury gehörten an: Sonja Herrmann, Martin Mittelmeier und Martin Oehlen.
Das Stipendium
Das Dieter-Wellershoff-Stipendium wurde 2018 von der Stadt Köln eingeführt. Es wird vom Literaturhaus Köln betreut und unterstützt Autorinnen und Autoren dabei, eine begonnene Arbeit fortzusetzen oder zu vollenden.
Dieter Wellershoff, in dessen Namen das Stipendium vergeben wird, wurde 1925 in Neuss geboren und ist 2018 in Köln gestorben. Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller war eine Weile einflussreicher Lektor des Verlags Kiepenheuer & Witsch. Er veröffentlichte unter anderem „Der Sieger nimmt alles“ (1983), „Blick auf einen fernen Berg“ (1991) und „Der Ernstfall“ (1995). Der Roman „Der Liebeswunsch“ (2000) gilt als sein bekanntestes Werk.
(M. Oe.)
Adrian Kasnitz: „Im Sommer hatte ich eine Umarmung“, parasitenpresse, 90 Seiten, 14 Euro.

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