„Ein Buch für die Stadt“ feiert Jubiläum (1): Irmgard Keuns Glanz, Italo Calvinos Winternacht und Haruki Murakamis Roman, der nicht mehr heißt, wie er hieß

Haruki Murakami im Jahre 2005 in seinem Büro an der Harvard Universität in Cambridge bei Boston Foto: Bücheratlas

Ein Jubiläum steht an: Die Lesereihe „Ein Buch für die Stadt“ hatte vor 20 Jahren Premiere. Seitdem findet sie alljährlich in Köln und der Region statt. Dabei handelt es sich um eine Initiative des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und des Literaturhaus Köln. Die Idee: Eine Region liest über mehrere Tage hinweg gemeinschaftlich ein Buch. Das sollte und soll der Lesekultur und der Literatur zum Wohle gereichen – und vor allem den Leserinnen und Lesern.

Die Titel, die in diesen 20 Jahren im Fokus standen, sind auch heute noch jede Lektüre wert. Auf diesem Blog wollen wir an die ausgewählten Bücher und ihre Autorinnen und Autoren in einer kleinen-schnellen Reihe erinnern. In Triple-Schritten. Hier kommen die ersten drei Jahrgänge.

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2003

„Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun

Irmgard Keun (1905-1982), verfolgt von den Nazis und dann lange Zeit vergessen, wurde erst in den späten 1970er Jahren wiederentdeckt. Und mit ihr ein paar tolle Frauen. Darunter ist Doris, die Heldin des Romans „Das kunstseidene Mädchen“ (1932). Sie lebt in Köln in sehr bescheidenen Verhältnissen und bricht mit 18 Jahren auf, um in Berlin „ein Glanz“ zu werden. Das klappt nicht. Am Ende stellt sie in ihrer lockeren Diktion fest: „Auf den Glanz kommt es nämlich vielleicht gar nicht so furchtbar an.“ Bei der Eröffnung im Kölner Schauspielhaus (am Offenbachplatz) dabei: Irmgard Keuns Tochter Martina Keun-Geburtig sowie Judith Hermann, Katja Lange-Müller, Christoph Buchwald. Die Moderation der Matinee, die nur eine von rund 50 Veranstaltungen war, hatte Thomas Böhm.  Ein ziemlich traumhafter Start.

2004

„Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ von Italo Calvino

Manche meine, das sei die kühnste beziehungsweise sprödeste Nominierung von allen gewesen. Andere sagen, dass die Wahl des großen Romans des großen Italieners nichts als glücklich gewesen sei. Das machten dann auch Sigrid Löffler und Michael Krüger zum Auftakt klar. Italo Calvino (1923-1985) beginnt seinen Roman, der das Lesen und die Literatur so vertrackt wie verspielt zu feiern versteht, mit diesen Worten: „Du schickst dich an, ‚Wenn ein Reisender in einer Winternacht‘ von Italo Calvino zu lesen. Entspanne dich. Sammle dich. Schieb jeden anderen Gedanken beiseite. (…) Such dir die bequemste Stellung. Im Sessel, auf dem Sofa, auf dem Schaukelstuhl. In der Hängematte, wenn du eine hast. Natürlich auch auf dem Bett oder im Bett. Worauf wartest du noch?“ Ja, das gilt noch heute: Wer Spaß am literarischen Spiel hat, findet so schnell nichts Besseres.

2005

„Gefährliche Geliebte“ von Haruki Murakami

Der Roman heißt heute ganz anders. War er im Jahre 2000 von Giovanni und Ditte Bandini aus dem Englischen übersetzt worden, so im Jahre 2013 von Ursula Gräfe aus dem Japanischen. Der Titel jetzt: „Südlich der Grenze, westlich der Sonne“. Eine Anspielung auf einen US-Song aus den 1930er Jahren. Hajime, die Hauptfigur der Dreiecksgeschichte, arbeitet in einer Jazzbar – wie weiland auch Haruki Murakami. Als ich den Autor 2005 in seinem kleinen Büro an der Harvard University besuchte, wo er sich als Gast aufhielt, betonte er die große Bedeutung der Musik für sein Leben: „Tatsächlich inspirieren mich einige Songs beim Schreiben. Das liegt daran, dass Musik so bedeutend für mich ist. Auch habe ich aus der Musik sehr viele Dinge über das Schreiben gelernt – das gilt für den Rhythmus, die Improvisation, den Sound und vieles mehr. Wenn ich schreibe, dann ist es für mich so, als würde ich ein Instrument spielen.“ Zu Haruki Murakamis 75. Geburtstag am 12. Januar 2024 erscheint im DuMont Buchverlag sein neuer Roman „Die Stadt und ihre ungewisse Mauer“. Selbstredend aus dem Japanischen übersetzt von Ursula Gräfe.

Martin Oehlen

Das Buch für die Stadt 2023

ist „Der nasse Fisch“ von Volker Kutscher. Die Matinee im Schauspielhaus Köln (Schanzenstraße 6-20) findet am Sonntag, 19. November 2023, um 11 Uhr statt.

Zu den mitwirkenden Personen

beim „Buch für die Stadt“ noch ein paar Sätze. Auf Seiten des Kölner Literaturhauses federführend (sagt das noch jemand?): Jetzt Bettina Fischer, am Anfang Thomas Böhm, zwischendrin Insa Wilke. Und bei der Zeitung: Jetzt Anne Burgmer, am Anfang der Autor dieser Zeilen, zwischendrin Frank Olbert. Neben Literaturhaus und „Kölner Stadt-Anzeiger“ war und ist in der Jury der Kölner Buchhandel vertreten: Ehedem Klaus Bittner und aktuell Hildegund Laaff. Wichtig für diese Initiative ist das Engagement der institutionellen und freien Veranstalter, die sich mit eigenen Programmen einbringen.

4 Gedanken zu “„Ein Buch für die Stadt“ feiert Jubiläum (1): Irmgard Keuns Glanz, Italo Calvinos Winternacht und Haruki Murakamis Roman, der nicht mehr heißt, wie er hieß

  1. 20 Jahre „Das Buch für die Stadt“ – eine Erfolgsstory. Dank den Initiatoren, Juroren und sonstigen Beteiligten. Die Leserinnen und Leser freut’s immer wieder. So auch jetzt die gelungene Wahl zum „Buch der Stadt“ im Jubiläumsjahr 2023 – mit drei außergewöhnlichen Autoren.

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