„Man darf die Justiz nicht allein lassen“: Kathrin Röggla stellt ihr „Laufendes Verfahren“ in Köln in der Buchhandlung Bittner vor

Kathrin Röggla klärt auf. Foto: Bücheratlas

Heinrich Böll hätte seinen Beifall gespendet. Zu diesem Satz von Kathrin Röggla:  Die Literatur, stellte die designierte Heinrich-Böll-Preisträgerin in Köln fest, müsse sich einmischen. Aus dieser Überzeugung heraus hat die Schriftstellerin ihren Roman „Laufendes Verfahren“ (S. Fischer) über den Münchner NSU-Prozess geschrieben. Nun hat sie ihn in der Buchhandlung Klaus Bittner in der Albertusstraße in Köln vorgestellt (eine Besprechung des Romans gibt es auf diesem Blog HIER).

„Warum sind Sie hier?“

Vor Buchhändlerinnen und Buchhändlern und weiteren Multiplikatoren der Literatur sprach Kathrin Röggla mit ihrem Lektor Sascha Michel. Dabei machte sie ihr Interesse an Justiz-Prozessen im Allgemeinen deutlich. Am Vortag erst habe sie das Oberlandesgericht in Koblenz aufgesucht (wenn auch zu einem falschen Zeitpunkt); dort reizt sie das Verfahren gegen die „Vereinten Patrioten“, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach hatten entführen wollen. Und dann eben das Interesse im Besonderen am Prozess zu den Verbrechen des „Nationalsozialistischen Untergrund“ im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München zwischen 2013 und 2018. 

Rund 15-mal habe sie auf der Empore des Gerichtssaals Platz genommen, sagte die Autorin, die den „Stoff“ auch schon als Hörspiel und Theaterstück aufbereitet hat. Inmitten des Publikums habe sie „einen soziologischen Drive“ entwickelt und sich umgehört: „Warum sind Sie hier?“ Im Roman sind daraus einige bewusst typisierte Figuren geworden – wie der „Gerichtsopa“, von dem Kathrin Röggla sagt, dass er bei jedem Prozess anzutreffen sei.

„Es ist sehr viel offengeblieben“

Die Grunderkenntnis, die sie aus alledem gewonnen hat? Zweifel an der Justiz. Nicht an der Institution, aber doch daran, dass diese einen Schlussstrich ziehen könne. Nach dem Prinzip: Hier das Urteil – und gut ist! „Die Justiz ist notwendig“, betont sie, „aber man darf sie nicht allein lassen.“

So sei in München „sehr viel offengeblieben“, nicht zuletzt die Rolle von Polizei und Verfassungsschutz. Gemeint sind die V-Männer, die geschwärzten Dokumente oder die in der „Operation Konfetti“ geschredderten Dokumente. Der Quellenschutz habe über dem Opferschutz gestanden, und es sei klar geworden, „dass etwas nicht funktioniert“. Auch stelle sie „Doppelstandards“ in der Rechtsprechung fest. 

„Der Prozess ist nur das Material“

„Laufendes Verfahren“ ist ein Roman und keine Dokumentation. Ihrer Ansicht könne kein Buch den NSU-Prozess abbilden. Da denke man allein an die eine Million Akten, die hin und her gewendet worden seien. „Der Prozess ist nur das Material“, sagt sie über den Roman, in dem sie viel Wert auf „Rhythmus und Musikalität“ gelegt und mit „Groteske und Komik“ gearbeitet habe.

Kathrin Röggla geht es um mehr als den Münchner Prozess – nämlich um unsere Gesellschaft. Einige Male verweist sie im Gespräch mit ihrem Lektor auf die „Ambivalenz“ und auf die „Symbolkraft“ des Verfahrens. Und sie stellt mit Nachdruck fest, dass es vermessen wäre, würde sie behaupten zu wissen, was wahr und richtig ist.

Martin Oehlen

Auf diesem Blog

findet sich eine Besprechung des Romans „Laufendes Verfahren“ genau HIER.

Weitere Lesungen

mit Kathrin Röggla beim Erlanger Poetenfest (26. August um 17.30 Uhr im Schlossgarten) und im Literaturhaus Köln (19. September um 19 Uhr, auch als Livestream).

Kathrin Röggla: „Laufendes Verfahren“, S. Fischer, 208 Seiten, 24 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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