
Eine Premiere ist immer gut. Da fängt etwas an. Dann kann auch etwas daraus werden. So wie bei der „edition amikejo“, die ihren ersten Roman veröffentlicht: „Pristina“ von Toine Heijmans.
Dabei handelt es sich um den Verlag des Vereins Euregio Kultur, dessen Ziel die „Förderung und Entwicklung des grenzüberschreitenden Literaturaustauschs in der Euregio Maas-Rhein“ ist. Ein besonderes Augenmerk gilt der Übersetzung und Herausgabe von Werken aus dem Niederländischen. Denn der Verein hat – wie er mitteilt – auf diesem Sektor einen Mangel erkannt. Daher passt es perfekt, dass die „edition amikejo“ mit einem Titel aus den Niederlanden beginnt.
„Ich bin noch nie gescheitert“
„Pristina“ erzählt die Geschichte des Regierungsbeamten Albert Drilling. Er ist der Mann für besondere Fälle – genauer gesagt: für besondere Abschiebefälle. Seine Bilanz bei der Rückführung von Ausländern, die in den Niederlanden vergebens Asyl gesucht haben und sich dort illegal aufhalten, ist tadellos. Er glaubt, für alles eine Lösung parat zu haben: „Ich bin noch nie gescheitert.“ Der Fall, der ihm nun anvertraut ist, belehrt ihn eines Besseren.
Die Zielperson lebt auf einer westfriesischen Insel. Dorthin reist Albert Drilling mit seinen Akten, reichlich Bargeld und einigen Bestechungsangeboten für den Bürgermeister und die untergetauchte Person. Was er nicht weiß: Er wird bereits erwartet. Im Hotel „De Waarheid“ – ja, der Name ist etwas dick aufgetragen – trifft er zum ersten Mal auf die bestens integrierte Irin Past.
Krieg auf dem Balkan
Albert Drilling hat für diesen Auftrag drei Tage veranschlagt – am Ende werden es drei Monate sein. Das ist Zeit genug für Autor Toine Heijmanns, der als Kolumnist für die Tageszeitung „De Volkskrant“ tätig ist, seine Geschichte zu entfalten. Die handelt von der Politik, die „kein Risiko“ eingehen will, von der Bürokratie, die streng nach Vorschrift waltet, vom Krieg auf dem Balkan, an dem die Niederlande beteiligt waren, sowie von privaten Verwerfungen, in die Irin Past geraten ist.
Das Pseudonym ist ihr als Kind übergestülpt worden, damit sie sich an ihren Herkunftsort erinnere. Wenn man die Buchstaben des Anagramms nur lange genug durcheinanderwirbelt, kommt irgendwann Pristina heraus, heute die albanisch geprägte Hauptstadt der Republik Kosovo.
„Bojen und Tiefenlinien im Gesicht“
Toine Heijmans nutzt für diesen Roman, der schon 2013 in den Niederlanden erschienen ist, seine Erfahrungen als Politik-Redakteur und Reisejournalist. Auf dieser Basis baut er seine Erzählung auf, die kurvenreich zu einem Happy End gelangt. Zwar kann der Leser – wie auch der Bürgermeister und Irin Past selbst – nicht recht nachvollziehen, warum dem Minister ausgerechnet ihr Fall so wichtig ist. Auch erstaunen zwei Absätze, die erstklassige Produktwerbung für ein namhaftes Koffermodell bieten: „Keine Beulen, keine Kratzer“. Doch das sind nur Auffälligkeiten am Rande.
Langweilig wird es einem mit diesem Polit-Roman nicht. Dafür sorgen auch Anleihen beim Action-Kino, wenn ein heransausendes Messer per Karatetritt aus der Flugbahn geschleudert wird, oder dieser Hauch von kuscheliger Orient-Kolportage, wenn ein Zöllner in Kairo einen gefälschten Pass erkennt, weil den sein Bruder angefertigt hatte. Plastisch gezeichnet sind die Landschaften, Städte und Typen. Das zum Beispiel ist der Fährmann Hero Zeelen in Nahaufnahme: „Die Furchen und Grübchen, die Zeichen der Zeit in seinem Gesicht: Bojen und Tiefenlinien.“
Viele Pässe, viele Namen
Heijmans investiert einigen Aufwand, um eine Atmosphäre der Verunsicherung zu erzeugen. Der nur schwer durchschaubare Nebel, der auf dem Meer liegt, kriecht auch durch die Ermittlungen des Beamten: Wer welchen Namen trägt und wer welches Amt innehat, wird zum Running Topos auf der niederländischen Insel, im aufständischen Kairo und im serbisch-albanisch zerrissenen Kosovo. Selbst Albert, der Ermittler, verfügt über viele Pässe und heißt auch mal Anton und mal Berend. Ein Wechselbad der Identitäten.
Ruth Löbners Übersetzung liest sich angenehm flüssig. Zwar geht es einmal darum, Irin „aufs Schiff kriegen zu müssen“, und ein anderes Mal „peste“ ein Serbe durch ein Flüchtlingsheim. Doch diese Ausflüge in die Umgangssprache sind so selten, dass sie allein deshalb auffallen. Insgesamt fühlt man sich bei Löbner sehr gut aufgehoben.
Machen wir es kurz: „Pristina“ – dieser Roman über Recht und Gerechtigkeit, Heimat und Identität – bietet gute Unterhaltung.
Martin Oehlen
Bonustrack
Der Name „Amikejo“ geht nach Angaben des Vereins „EuregioKultur“ auf die ehemalige Region Neutral-Morenet im Herzen der Euregio Maas-Rhein zurück. Diese war von 1816 bis 1919 neutrales Territorium und sollte unter dem Namen „Amikejo“ zum ersten Esperanto-Staat ausgerufen werden. Der Esperanto-Name steht für „Ort der Freunde“.
Toine Heijmans: „Pristina“, dt. von Ruth Löbner, edition amikejo, 346 Seiten, 14,50 Euro.
