
Es hätte jede andere Stadt sein können. Doch Ada verschlägt es nach Hongkong. „In Dublin war ich traurig gewesen, beschloss, dass daran Dublin schuld war, und dachte, Hongkong würde helfen.“ Ein Trugschluss, wie sich schnell herausstellt. Die Mitbewohnerinnen in der Airbnb-Wohnung gehen ihr auf die Nerven, ihr Job an der Sprachschule langweilt die 22-Jährige zu Tode. Dass sie während des Unterrichts nicht den Klassenraum verlassen und zur Toilette gehen darf, macht die Sache nicht besser.
Unterschiedliche Sonnensysteme
Doch da gibt es noch Julian, den gutverdienenden Banker mit der schicken Wohnung hoch über den Wolken, auch so eine verlorene Europäer-Seele im Dschungel der Megastadt Hongkong. Gemeinsam hängt man ab, hat irgendwann Sex. Und bleibt einander doch so fern wie zwei unterschiedliche Sonnensysteme. „Wir waren die Summe der Routinen, die wir umeinander errichtet hatten.“
„Aufregende Zeiten“ ist der Debütroman einer vielversprechenden irischen Autorin: Naoise Dolan, 27 Jahre alt, geboren in Dublin und begabt mit einer lakonisch-coolen Schreibe, die die Lektüre ihres Buches über weite Strecken zu einem großen Lesevergnügen macht.
Schon bald nistet sich Ada bei Julian ein, eine rein pragmatische Entscheidung, fern von jedwedem romantischen Gedudel. Ein schlechtes Gewissen hat sie deswegen nicht. „Unser Wohlstandsgefälle war zu krass, als dass ich mich dadurch unwohl gefühlt hätte. Außerdem sprach mich das in meinen Augen von jeglicher Notwendigkeit frei, den unweigerlich damit verquickten Genderfragen auf den Grund zu gehen, dass er immer zahlte – zum Glück, da ich es mir gar nicht anders hätte leisten können.“
Eine schlechte Feministin?
Nur kurz fragt sie sich, ob sie deswegen eine schlechte Feministin sei, womöglich mit der „kapitalistischen Vorstellung“ breche, „dass ich nur einen Wert hatte, wenn ich meinen Lebensunterhalt selbst bestritt“. Und schiebt ihre Skrupel schnell wieder beiseite. „Ich konnte das immer noch aufdröseln, sobald die Erfahrung hinter mir lag; bis dahin hatte es wenig Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen.“
Julian wiederum ist ein emotionaler Eisblock, der niemanden an sich heranlässt. Erst recht nicht eine wie Ada, der es weniger um Liebe geht als um emotionale Überlegenheit. „Was ich wollte, war, dass Julian mehr für mich empfand als ich für ihn. Ich wollte ein Machtgefälle, und zwar zu meinen Gunsten.“
Liebe statt Geld
Sympathisch ist diese Protagonistin vor allem wegen ihrer Grundehrlichkeit sich selbst gegenüber. Schonungslos selbstironisch schildet sie ihre emotionalen Verirrungen und Schattenseiten – und outet sich damit als eine verletzliche junge Frau mit null Peilung, was sie anfangen soll mit ihrem Leben. Erst Edith, eine chinesische Rechtsanwältin, mit der sie bald mehr als Freundschaft verbindet, zeigt Ada, wer sie wirklich ist. Eine Frau, die Frauen mag und auf Geld und Besitz pfeift, wenn es um die Liebe geht.
Gegen Ende hätte dem Roman die eine oder andere Kürzung gutgetan. Inzwischen ist man vertraut mit Adas Selbstzweifeln und ihren kleinen Spielchen. Doch geschenkt, ein gutes, ein aufregendes Buch ist Naoise Dolans Debüt allemal. Wegen seines schnoddrig-coolen Erzählstils. Und natürlich wegen Ada, die zeigt, wie es sich anfühlt, Anfang 20 zu sein und nicht zu wissen, wo es langgeht.
Petra Pluwatsch
Auf diesem Blog findet sich auch noch ein Beitrag über das demonstrierende Hongkong im Jahre 2019 – und zwar HIER.
Naoise Dolan: „Aufregende Zeiten“, dt. von Anne-Kristin Mittag, Rowohlt, 318 Seiten, 20 Euro. E-Book: 14,99 Euro.
