Hut ab vor diesem Mann: Jacques Tati zeigt, wie komisch wir sind

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Nicht ohne seinen Hut: Jacques Tati bei den Dreharbeiten zu „Play Time“ aus dem Jahre 1967.  Foto: Specta Films C.E.P.E.C. – Les Films de Mon Oncle / Taschen Verlag

Es darf gelacht werden! Fünf Bände führen tief hinein in das fulminante Werk des Jacques Tati (1907-1982). Sie machen vertraut mit einem Künstler, der sein Publikum „nur“ amüsieren wollte, wie er einmal sagte, gleichwohl aber jede Menge satirische Spitzen auf die Moderne abfeuerte. Es wurde nicht viel geredet in seinen Filmen, wenngleich diese sehr beredt waren. Die Bewunderung für sein Filmschaffen wird durch das bibliophile Panorama, das der Taschen Verlag in „The Definitive Jacques Tati“ ausbreitet, nur noch gesteigert, ja, sie wächst an mit jedem der fünf Bände, den man aus dem silbergrauen Schatzkarton zieht.

Dass das Leichte besonders schwer ist, wird abermals bestätigt, wenn man liest, mit welcher Akribie dieser hoch geschätzte Einzelgänger der Filmkunst jede Szene vorbereitet hat. Slapstick verlangt nach exaktem Timing. Das hatte er schon beim  Vorbild Charles Chaplin gesehen. Nichts wurde dem Zufall überlassen.

Aber es wächst nicht nur der Respekt vor dem Drehbuchautor und Regisseur, dem Schauspieler und Produzenten Tati (geborener Tatischeff). Auch schließt man Monsieur Hulot, seinen Helden von der liebenswerten Gestalt, aufs Neue ins Herz. Mit keckem Hut, weit hinausragender Pfeife, leichtem Mantel und stets herrlich ausschreitendem Gang zieht er durchs Leben. Dabei sind allerlei Hindernisse zu gewärtigen: Türen, Gehwege, Parkplätze, Rolltreppen, Fahrzeuge aller Art – und Menschen. Hulot ist ein sympathischer Jedermann mit dem Hang zu kleinen Tölpeleien, die jedem passieren könnten – ihm unterlaufen sie allerdings in besonders hoher Frequenz. Allen Widernissen zum Trotz bewahrt Jacques Tati als Monsieur Hulot Ruhe und Haltung. Kein Wunder, dass Federico Fellini ihn einst auserkoren hatte als Hauptdarsteller in einem Film über Don Quichotte zu spielen. Tatis Hulot ist zwar kein Abenteurer wie der spanische Ritter, aber ein Mann unserer Zeit, der sich nicht vom Weg abbringen lässt.

Das enorme Material, das in „The Definitive Jacques Tati“ vorgelegt wird und in vielen Fällen bislang unveröffentlicht war, ist nach Angaben des Verlags dem Rechteinhaber an Tatis Filmen zu danken: „Les Films de Mon Oncle“. Der Zugang zu den Archiven war offenbar komplett uneingeschränkt. Wiederzuentdecken sind solcherart die Filme, die zwar nicht in bewegten Bildern daherkommen, aber es scheinen Filmstills in so dichter Folge auf, dass man den Eindruck hat, im Kino und nicht auf der Couch zu sitzen. Also mitten im Film. Ein Vorteil zudem: In Ruhe lassen sich alle Winkel der jeweils eingefrorenen Szene erkunden, so dass auch dabei deutlich wird, wie sorgsam Tati den ganzen Bildraum genutzt hat. Die Totale, nicht die Nahaufnahme, war seine Sache.

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Jacques Tati führt Regie bei „Parade“, seinem letzten Film. Foto: Karl Haskel – Archives Specta Films C.E.P.E.C. / Taschen Verlag

Band 1 versammelt Tatis sechs Filme – „Jour de fete“ (1949), „Les Vacances de Monsieur Hulot“ (1953), „Mon Oncle“ (1958), „Play Time“ (1967), „Trafic“ (1971) und „Parade“ (1974). Die Drehbücher zu den Filmen gibt es im zweiten Band. Eine chronologische Würdigung der künstlerischen Karriere, inklusive unveröffentlichter Arbeiten, folgt im dritten Band. Die Beschäftigung mit zentralen Aspekten wie Autos, Architektur und Gags, Gags, Gags gibt es dann im vierten Band. Schließlich kommt zum Finale der Meister selbst zu Wort in Statements und Interviews.

Da gibt er sich bescheiden: „Ich will nicht, dass man nach Botschaften in meinen Filmen sucht. Wenn jemand damit beginnt, ihnen eine philosophische Bedeutung zuzuschreiben, welche auch immer – nun, dann ist alles vorbei. Ich möchte lediglich Filme machen, die die Zuschauer amüsieren, und dabei Spaß haben. Ich bin kein Metaphysiker.“

Eine Schule des Beobachtens, so sagt es Herausgeber Alison Castle, waren die Filme Jacques Tatis. Im Mittelpunkt: die menschliche Komödie. Was das bedeutet? Um es mit Tatis Worten zu sagen, die Castle in seinem Vorwort notiert: „Ich möchte, dass mein Film beginnt, wenn Sie den Kinosaal verlassen.“

Martin Oehlen

Alison Castle: „The Definitive Jacques Tati“, englischsprachige Ausgabe, Taschen Verlag, Schuber mit fünf Bänden, 1136 Seiten, 185 Euro.

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