
Himmel, da ist was losgewesen am 14. Juli 1789. Foto: Bücheratlas
Eric Vuillard flaniert weiter durch die Historie. Der französische Schriftsteller kleidet seine literarische Nische immer üppiger aus. Es sind Momentaufnahmen aus der Geschichte, gleichsam Geschichtsgeschichten. Sei es die Berliner Kongokonferenz oder Buffalo Bills Wilder Westen – das Detail soll jeweils auf das Größere verweisen. Das beschert ihm nicht nur viele Leser, sondern auch angesehene Preise. Zuletzt erhielt er für „Die Tagesordnung“ – die auch bei uns sehr erfolgreiche Erzählung über Hitlers Geheimtreffen mit der deutschen Wirtschaft am 20. Februar 1933 – den Prix Goncourt.
Nun geht es um den „14. Juli“. Um den Sturm auf die Bastille, um die Revolution von 1789, also um Frankreichs nationalhistorisches Ereignis par excellence. Und tatsächlich gibt es nur wenige Daten, an denen der Weltenlauf auf ähnlich dramatische Weise verändert worden ist.
Das Buch ist im Original bereits vor drei Jahren erschienen. Wer hier also eine Reaktion auf die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich zu lesen meint, trifft zumindest nicht die ursprüngliche Intention des Autors. Allerdings kommt Vuillard am Ende des „14. Juli“ zu einem Urteil, das durchaus als Ermutigung zu lesen ist für alle, die ihrem Unmut Luft machen wollen: „Man müsste, wenn das Herz uns aufwühlt, wenn die Ordnung uns erbittert und die Verwirrung uns den Atem nimmt, die Türen unserer lächerlichen Elysée-Paläste eintreten…“
Vuillard trumpft hier nicht als Historiker auf, sondern als Poet. Vieles muss er sich vorstellen, ausdenken. Denn ihm geht es nicht darum, ein weiteres Mal die großen Namen ins Licht zu rücken. Vielmehr wendet er sich den Handwerkern und Handlangern zu, den Goldpoliererinnen und „Flittchen“, dem kleinen Mann und der einfachen Frau. Biografisches ist von ihnen nur wenig oder gar nicht überliefert. Da setzt Vuillards Mission an. Er will den unbekannten Revolutionären, von denen man vielleicht nur den Namen oder den Beruf irgendwo aufgelistet findet, eine Identität erschaffen.
Denn sie sind es, die den Sturm auf die Bastille gewagt haben. Aber was heißt schon „gewagt“! Es musste doch etwas passieren. Die Not war groß, der Hunger zumal, während am Hof von Versailles geprasst und das Geld zum Palastfenster hinausgeworfen wurde. Ein schönes Fundstück des Autors ist der „Wink-Erteiler“, dessen einzige Aufgabe es war, „herauszufinden, zu welcher Uhrzeit der König der Messe beizuwohnen wünscht.“
Ja, das Volk in Paris ist der Held dieser Erzählung. Vuillard zeigt das Heroische und das Gewalttätige der Revolution, das Poetische und das Komische. Und er lässt es richtig krachen. Qualm und Blut, Geschrei und Gerenne, brennende Giebel und brennende Gesichter, viele Lumpen und zwischendrin mal eine „himbeermusfarbene Weste“. Dieses Buch ist eine umfassende Erregung. In Hollywood würde es ein ums andere Mal heißen: „Action!“
Vuillard erzählt von diesem Tag der Tage mit einer Verve, die dem dramatischen Geschehen entspricht: Er formuliert viele kurze Sätze, schildert Szenen im Stakkato, dazwischen immer mal wieder ein exaltiertes „Ah“ ausrufend. Der Autor spart nicht mit Pathos und nicht mit Metaphorik. Sein Vokabular ist variantenreich, mal derb und mal hochtönend, zuweilen auch von gestern. Für Übersetzerin Nicola Denis eine Herausforderung, die sie mit Bravour meistert, meiner Treu. Was allerdings zuweilen nervt, ist die Lust an Formulierungen und Sentenzen, deren Klang stärker ist als ihre Substanz: „Wie schön ein Gesicht doch ist! Viel schöner als die Seite eines Buches.“
Vuillards historische Exkursionen sind kurz und kurzweilig. Seit Oktober liegt in Frankreich schon das neueste Werk vor. Mit „La guerre des pauvres“ ist er abermals im deutschsprachigen Raum unterwegs – es geht um Thomas Müntzer und den Bauernaufstand im Jahre 1524. Eric Vuillard bleibt ein rastloser Flaneur in den Kulissen der Geschichte.
Martin Oehlen
Eric Vuillard: „14. Juli“, deutsch von Nicola Denis, Matthes & Seitz, 136 Seiten, 18 Euro. E-Book: 13,99 Euro.