Ein Glücksritter, den sein Pech nicht stört: Ulrich Peltzers starker Roman „Der Ernst des Lebens“

Der Kunstmarkt ist eine neue Verlockung für Bruno van Gelderen. Foto: Bücheratlas / M. Oe.

Bruno van Gelderen – der Nachname scheint Bände zu sprechen! Nicht nur findet sich darin die Andeutung, dass der Romanheld vom Niederrhein stammen könnte, was dann tatsächlich der Fall ist. Auch lässt sich die Silbe „Geld“ im Namen nur schwerlich übersehen. Das angeblich so liebe Geld ist es auch, von dem in Ulrich Peltzers Roman „Der Ernst des Lebens“ immer wieder die Rede ist. Wie im richtigen Leben.

Lauter Business-Opportunities

Als wir Bruno van Gelderen in Berlin kennenlernen, ist er gerade Chief Financial Officer (CFO) bei Merkur-Invest, wo den dankbaren Anlegern vermittelt wird, dass es bei ihren Investitionen um „Business Opportunities“ gehe und nicht darum, „Geld am Fiskus vorbeizuschleusen.“ Allerdings ist dem CFO der eigene Kontostand gar nicht so wichtig. Hat er Geld, ist es gut, hat er es nicht, ist es halt so. Vielmehr scheint er daran interessiert zu sein, wie die Geldvermehrung funktioniert und was das Geld mit den Menschen macht.

Bruno van Gelderen ist beneidenswert entspannt unterwegs. Er lässt das Leben auf sich zukommen. Cool wie eine Hundeschnauze, der Typ. Er glaubt sowieso, dass sein Leben erst noch richtig anfangen werde, auch wenn er nicht weiß, was mit „richtig“ gemeint sein könnte. Er ist ein Glücksritter, der es nicht weiter krummnimmt, wenn ihm das Glück einmal nicht hold ist.

„Neues Spiel, neues Glück“

Das ist sogar mehrfach der Fall. Nach dem abgebrochenen Politik-Studium in Berlin und einem Job bei einer Konzertagentur sind das die weiteren Eckpunkte seiner Biographie: Spielsucht, Drogen, Beschaffungskriminalität, Gefängnis, Entzug, Obdachlosigkeit. Da kommt einiges zusammen. Muss man gar nicht viel drüber reden. Die Haftzeit? „Sei’s drum, Zeit zum Nachdenken.“ Sein Motto: „Neues Spiel, neues Glück.“

Bruno van Gelderen ist ein unangestrengter Ich-Erzähler. Selbstgefälligkeit ist nicht seine Sache. Niederlagen werden also keineswegs verbrämt. Das macht ihn sympathisch. In der Nacherzählung seiner Vita springt er vor und zurück. Dass er sich dabei zuweilen an die Leserschaft wendet, als wären wir unter uns, ist auch ein feiner Zug. So garniert er sein Bekenntnis, über ein Testament nachzudenken, mit dem Hinweis: „bitte nicht lachen“.

„Gemähre vom Weltuntergang“

Haben wir das schon erwähnt? In Ulrich Peltzers Roman geht es äußerst kurzweilig zu. „Der Ernst des Lebens“ kommt so geschmeidig wie lakonisch daher, woraus sich sehr schnell ein feiner Flow entwickelt. Und im Zentrum steht ein Held, der keineswegs „Everybody’s Darling“ sein will. In welchem Milieu auch immer. Sei es politisch oder privat.

Entschieden subjektiv stellt er fest, die Grünen seien Simulanten: „Immer dieses Gemähre vom Weltuntergang, dabei wollen sie auch nur an die Fleischtöpfe.“ Das halte er nicht für verwerflich. „Nur sollte man nicht ständig das Wohl der Menschheit im Mund führen, das schwerstens bedroht sei, wenn man nicht mitregiere.“

„Wenn irgendeine Gespenstertruppe absteigt“

Nein, er ist kein Repräsentant der Ausgewogenheit, kein Apostel der Wokeness. Da denke man an seine Erfahrungen als Mitarbeiter des „Fußball-Echo“. Die Frage, ob Fußball als Spiegel der Gesellschaft tauge, beantwortet er frank und frei: „Vielleicht als Spiegel der unteren Hälfte der Gesellschaft, ohne deren Dummheit es der oberen nicht so gut ginge. Da wird geweint, wenn irgendeine Gespenstertruppe absteigt, ich konnt’s oft nicht fassen … wie erledigt muss man sein?“

Ulrich Peltzer, 1956 in Krefeld geboren, dichtet seinem Helden auch noch eine Liebe zum Niederrhein an. Brunos Eltern hatten dort einen Bauernhof, den nun Bruder Bernhard als Biohof weiterführt. Mit Erfolg. Für Bruno selbst wäre das nichts gewesen. Aber die Landschaft! Das müsse noch zur Sprache kommen, stellt er gegen Ende fest: die Jahreszeiten, das flache Land, Rüben und Kohl, Frost und Abdeckplane und „der Nebel im Herbst, der wie eine Decke über Wiesen und Sträuchern liegt.“

Sympathie für Köln

Auch Köln, das arm an literarischen Elogen ist, wird wohlwollend betrachtet. Ulrich Peltzer, der sich als Böllpreisträger und ehemaliger Dozent an der Kunsthochschule für Medien in der Kommune auskennt, lässt seinen Bruno beinahe schwärmen. „Eine Anziehung, die nicht ohne weiteres zu erklären ist“, bekennt er. Jeder denke an den Dom, vielleicht noch an zwei, drei Museen. Aber alles in allem gebe es nicht viel zu bestaunen. „Doch von der Atmosphäre her, wo ich überall rumgelaufen bin, war es auf eine mir entgegenkommende Weise unaufgeregt, vor allem die Leute.“

Und dann ist da auch noch eine Kunstszene, die ihm in sein Portfolio zu passen scheint. Ein Engagement als Galerist ist das nächste Projekt des Anhängers modernster Stilrichtungen. In der bildenden Kunst – „awesome“ hin und „awesome“ her – gehe es ja um Erlöse, „die einem Tränen in die Augen treiben können.“

Erinnerung an Eichendorff

Ganz zum Schluss dieser famosen Charakterstudie klingt der Ich-Erzähler wie der alte Cowboy im Spielfilm „The Big Lebowski“, der mit ein paar launig geraunten Worten den Vorhang zuzieht. Ob seine Geschichte gut ausgehen werde, fragt Bruno. Und er gibt sich selbst die Antwort: „Wir werden ja sehen, wo man mich in ein paar Jahren wiedertrifft, ich sage nichts voraus.“

Immerhin hat Ulrich Peltzer in einem Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur auf gewisse Ähnlichkeiten seines Helden zum „Taugenichts“ aus der Eichendorff-Novelle verwiesen. Und dessen Lebensgeschichte geht auf wundersame Weise gut aus. Bruno darf also hoffen. Neues Spiel, neues Glück.

Martin Oehlen

Lesung

im Literaturhaus Stuttgart am 28. Mai 2024 um 19.30 Uhr.

Ulrich Peltzer „Der Ernst des Lebens“, S. Fischer, 302 Seiten, 24 Euro. E-Book: 9,99 Euro.

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