
Schon das Intro ist sympathisch. Es lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass man ein besonderes Buch aufgeschlagen hat. Denn auf den Titel „Englische Renaissance“ folgen der leicht kecke Untertitel „Shakespeare & Company“ sowie der Hinweis: „ausgewählt, erläutert und mit gelegentlicher Übernahme von Freundesgaben übersetzt von Manfred Pfister“. Das kann was werden! Und wird es auch.
„Was Ihr wollt“
Manfred Pfister, ehedem Anglistik-Professor an der Universität Passau und Mitherausgeber des Shakespeare-Jahrbuchs, hat für diesen Prachtband einen Wust an literarischen Texten gesichtet, ausgewählt und vielfach neu übersetzt. Er wolle, wie der Narr in William Shakespeares „Was ihr wollt“, sowohl „high“ als auch „low“ singen, wolle Glanzstücke und Abgelegenes vortragen, das Profane mit dem Philosophischen verbinden. Da steht der „Leviathan“ von Thomas Hobbes‘, der den starken Staat propagiert, neben der Erfindung der Toilettenspülung durch den Dichter John Harington: „Denn, wie ihr seht und riecht, macht sie blank / Den ekligen Abort von Schmutz, Gestank.“
Besonders häufig kommen die Zentralgestalten William Shakespeare und Elisabeth I. zu Wort. Aber auch John Donne, Christopher Marlowe und Francis Bacon haben mehrere Auftritte. All diese Zeitzeugen prägen die „spannungsreiche Vielstimmigkeit“ der Englischen Renaissance, die nach Ansicht von Manfred Pfister „jene der anderen europäischen Renaissancen noch bravourös übertrifft.“ Die Anthologie will diese Vielfalt „kartographieren, ja feiern.“
„Die Zeit ist aus den Fugen“
Eine Feier, ja, ein triumphales Fest hatte zuvor schon Tobias Roth ausgerichtet, als er 2020 im selben Verlag die italienische Renaissance erstrahlen ließ. Ähnlich intensiv wie damals wird jetzt das Denken und Dichten auf der Insel gespiegelt. Und was kaum hoch genug zu loben ist: Erneut erfreut die bibliophile Ausstattung des Bandes, die liebevolle Aufbereitung von Text und Bild. Eine Variante gibt es allerdings. Wo sich Tobias Roth chronologisch voranbewegte, widmet sich Manfred Pfister thematischen Schwerpunkten.
Natürlich lesen wir all das im Bewusstsein der Gegenwart. „Die Zeit ist aus den Fugen“, ließ schon Shakespeare seinen Hamlet sagen. Und Francis Bacon fragte nach der Wahrheit, die auch in der Renaissance ein heikles Gut war. „Was die Lüge so beliebt macht“, schrieb der Gelehrte, „ist nicht nur die Mühe und Anstrengung, die die Wahrheitssuche abverlangt, und auch nicht, dass die Wahrheit, einmal gefunden, schwer auf unserem Geist sitzt, sondern eine eingeborene und zugleich widernatürliche Liebe zur Lüge selbst.“ Woran das liegen mag? Er selbst wusste keine rechte Antwort – „außer dass die Wahrheit wie das nackte Tageslicht ist, das die Masken, den Mummenschanz und Trug der Welt nicht halb so vorteilhaft zum Tragen bringt wie das Kerzenlicht.“

„Nichts Schöneres als ihre Handschrift“
Vieles ist in Bewegung. Neue Welten werden entdeckt. Der Buchdruck gelangt nach England. Und das „Globe Theatre“ eilt von Drama zu Drama. Doch gibt es weiterhin reichlich Schatten. Auf eklatante Weise bezeugt dies die „Hexenverfolgung“, deren Methodik akribisch bedacht wird – Wasserprobe inklusive. Auch das Frauenbild ist ein Zerrbild. So warnte der Reformator John Knox vor der „Weiberherrschaft“. Über „die“ Frau wusste er zu stänkern: „Ihre Einsicht ist von Blindheit geschlagen, ihre Stärke ist Schwachheit, ihr Ratschlag Torheit und ihr Urteil Wahnsinn, wenn man das so recht bedenkt.“ Immerhin nimmt er von seinem Urteil jene Frauen aus, die Gott selbst „aus nur ihm bekannten Gründen“ aus der Schar der Gewöhnlichen herausgehoben habe.
Die alle überragende Frauengestalt der englischen Renaissance war Königin Elisabeth I. (1533-1603). Nicht nur als Herrscherin auf dem Thron. Sie war auch eine begabte Übersetzerin, geschickte Rednerin und nicht zuletzt „eine musikalisch und tänzerisch talentierte Dichterin bewegend privater Gedichte“, sagt Manfred Pfister. Ihr Lehrer Roger Ascham schrieb 1550 an seinen Freund Johannes Sturmius in Straßburg: „Ihr Verstand hat keine weibliche Schwäche; ihre Beharrlichkeit kommt der eines Mannes gleich; ihr Gedächtnis behält dauerhaft, was es schnell auffasst. Sie spricht Französisch und Italienisch so gut wie das Englische; sie hat sich oft mit mir in fließendem und richtigem Latein und in befriedigendem Griechisch unterhalten. Wenn sie Griechisch und Latein schreibt, gibt es nichts Schöneres als ihre Handschrift.“
„Songs from the Labyrinth“
Der Herausgeber begleitet die Texte mit knappen Anmerkungen. Dabei schlägt er eine Brücke von der Renaissance in unsere Zeit. Fast schon selbstverständlich ist, dass eine Vokabel wie „fake news“ ihren Platz findet. Und dass Sting die 400 Jahre alte Musik von John Dowland auf seinem Album „Songs from the Labyrinth“ (2006) präsentiert, ist einen Hinweis wert. Ja, noch im Register wird man mit sachdienlichen Anmerkungen zu der einen oder anderen Personalie versorgt.
Manfred Pfisters Lesebuch „Englische Renaissancce“ erschließt ein wahrhaft weites Feld. Für Fans der Insel ist der Band ein Must, für alle anderen eine Verlockung. Das Ganze: ein Vergnügen für Kopf und Herz.
Martin Oehlen
Auf diesem Blog
haben wir Tobias Roths „Welt der Renaissance“ HIER vorgestellt.
Manfred Pfister: „Englische Renaissance“, Galiani Berlin, 480 Seiten, 98 Euro.
